Als die Natur den Menschen traf
©by M. Kuliniec
Wir lebten in einer ziemlich angenehmen Situation. Wir dachten, die Natur sei uns unterlegen, der Klimawandel ist eine Sache, die langsam, ja fast unsichtbar vor sich geht, wir dachten also, alles sei in Ordnung. Vielleicht, wie einige behaupten, lag der Grund dafür in der Cartesianischen Dichotomie, die den Geist vom Körper trennt. Auf diese Weise kann sich der Geist von der Natur entfernen. Bis wir die Natur trafen. Sie war immer da, doch wurde sie jetzt ziemlich sichtbar. In Form unsichtbarer Mikroben.
Die Dichotomie zwischen Mensch und Natur gibt uns die Legitimität, die Natur nach unseren Vorstellungen zu formen.
In Nous n’avons jamais été modernes hat Bruno Latour auf eine andere Dichotomie hingewiesen. Es geht hier um die Dichotomie zwischen dem Menschen und Natur. Diese Dichotomie ist älter als die Cartesianische Trennung des Geistes vom Körper. Sie gibt dem Menschen die Legitimität die Natur zu beherrschen (im weiteren Verlauf dann auch die Völker zu beherrschen, was nach der Entdeckung der Neuen Welt bereits den ersten Diskurs um Menschenrechte hervorgebracht hat). Die Unterwerfung der Natur bedeutet aber auch, dass diese uns nicht ebenbürtig sei. Wir haben dadurch die Legitimität, diese auch zu formen und nach unseren Ideen zu gestalten. So die weitere Dichotomie.
Allerdings gibt es einen weiteren Gedanken bei Latour, der ebenfalls interessant erscheint. Es ist die Idee der Zeit. Es gibt verschiedene Konzepte der Zeit, wir nutzen den kantschen. Das heißt, wir sehen die Zeit als etwas, das voran schreitet. Es hat nicht nur Auswirkungen darauf, wie wir die Zukunft sehen. Die Vergangenheit (ich kann mich nicht mehr erinnern, wo ich es bei Derrida gelesen habe) sehen wir als Brüche. Eine Revolution, sei es eine technologische, erscheint daher als ein Bruch mit einer „alten“ Zeit und mit einer „alten“ Gesellschaft. Ich sollte besser schreiben: mit dem alten Menschen. Denn es gab Krankheiten auf unserem Planeten und wir lebten zusammen mit der Natur.
Wir haben uns nicht nur von der Natur entfernt sondern auch von der eigenen Technologie, mit ihr umzugehen.
Ab ca. Ende der 1960er Jahre aber haben wir das Gefühl gehabt, Krankheiten besiegt zu haben (was so nicht stimmt, wir haben vielleicht Medikamente entwickelt, die Verläufe der Krankheiten etwas sanfter machten). Aber da wir in Brüchen denken, die uns von dem „zuvor“ auf geradezu magische Art entfernen lassen, können wir uns die Zeit davor nicht mal mehr vorstellen. Deswegen haben wir uns nicht nur von unseren eigenen Erfahrungen und unseren eigenen Technologien entfernt. Wir haben uns von der Natur entfernt, bis wir sie erneut trafen. Die Natur.
Wir werden immer wieder auf "Natur" treffen.
Hinzu kommt aber in unserer komplizierten Gesellschaft noch eine dritte Dichotomie. Und dies ist die Dichotomie zwischen Leben und Tod. Sie hat sich ungefähr seit den 60er Jahren mitentwickelt und trennt auf saubere Weise unser Leben von allen „unangenehmen“ Erfahrungen. Im täglichen Leben ist der Tod gar nicht mehr anzutreffen, fein säuberlich verbannt hinter die Mauern der Krankenhäuser und der Altenheime. Treffen wir auf den Tod, sind wir panisch. Die Erkenntnis, dass wir sterblich sind, hat uns in Panik versetzt, die dann Agamben zur Reflexion über das nackte Leben veranlasste. Doch wir sterben jeden Tag. Von dem Tag unserer Geburt. Denn der Tod ist Teil des Lebens, er gehört zum Leben, oder das Leben gehört zum Tod.
Doch was hat die Panik ausgelöst? Wir waren nicht mal im Wald und haben trotzdem das Monster gesehen. Und es ist zu uns gekommen. Wir haben die Natur getroffen. Jetzt versuchen wir sie mit allen uns zur Verfügung stehenden chemischen Mitteln zu verbannen und zu bekämpfen. Und glauben, dass wir der Natur (dem Tod vielleicht auch, wenn wir Posthumanisten sind) entkommen können. Doch die Natur ist da. Und wir sind nur ein kleiner Teil von ihr. Vielleicht ist es an der Zeit, die Dichotomien zu überdenken. Und neue Ideen zu entwickeln. Bevor wir die Natur wieder treffen.