Eine Kurze Geschichte über Spaziergänge, Zahlen und die Leere.
Ich weiß nicht mehr genau, wie es damals angefangen hat. Ich denke, ich wollte einfach nur die Wohnung verlassen, einfach raus, weg und nicht mehr nachdenken. Und dann gehen. Fünf Kilometer. Im Kreis. Das hört sich zunächst nach sehr viel an, aber wenn Du vergessen willst, glaub mir, dann ist es die ideale Lösung. Beim Laufen konzentrierst Du Dich einfach auf Deine Schritte, auf jeden einzelnen von ihnen, darauf, wie Dein Fuss den Boden berührt. Dann fängst Du auch ganz allmählich an zu fühlen, wie Dein Körper ganz ruhig wird, Du bemerkst Deinen Atem und auch etwas anderes, etwas ganz neues, Du spürst Leere in Dir. Ab diesem Moment willst Du gar nicht mehr aufhören zu laufen, denn die Leere zieht Dich in sich hinein, es ist eine andere als die in Deiner Wohnung.
Und glaube mir, bald, sehr bald werden Dir auch Wind und Wetter nichts mehr ausmachen und Du wirst die magische Grenze von 10.000 Schritten knacken, Du wirst auf sie pfeifen. Denn es geht hier nicht um die Zahlen. Es geht um die Leere und darum, was sie mit einem anstellen kann. Und mit der Zeit ging es um etwas ganz anderes noch.
Es muss beim zweiten oder dritten Mal gewesen sein, als ich während meiner heiligen Laufstunde eine Nachricht erhielt. Von IHR. Dann noch eine. Und noch eine andere und ach, ich habe auch geantwortet. Es ist nicht so, dass ich SIE nie gesehen hätte. Drei Mal. Aber das reichte um… Verdammt, hier geht es doch nicht um Zahlen sondern um die Tiefe und darum, etwas zu machen weil es schön ist und weil es auf einen eine Sogwirkung entfaltet. In China bedeutet Leere einfach den Raum in dem sich alles abspielt, weil es eben Raum hat sich abzuspielen, der es ermöglicht, dass überhaupt sich etwas abspielt. Bald kam die vierte Nachricht, fünfte und dann auch natürlich “Ich liebe dich” und “Ich Dich auch” und dann kamen die Nachrichten immer wieder und ich musste immer anhalten um sie zu beantworten und wir redeten praktisch die ganze Zeit miteinander.
Mit der Zeit verschoben sich die Sonnenuntergänge so dass ich in der Dämmerung raus ging und in der Dunkelheit der Vorstadt meine fünf Kilometer absolvierte. Die Vorstadt grenzt ans Land. Das Land wird nicht beleuchtet. Die Leere breitete sich aus.
Die Leere ist eine ideale Projektionsfläche für Träume. Ich wusste, dass ich sie liebte und dass wir eines Tages zusammen kommen. Auch wenn uns tausende Kilometer trennten. Denn was sind schon Zahlen. Es ging doch um die Tiefe, oder? Sie schrieb mir, dass ihre Mutter Krebs habe und es nicht schaffen wird und dass sie jeden Abend bei der Mutter sein müsse um sie zu betreuen und sich auf meine Nachrichten freue und ich überlegte jeden Tag, was ich denn schreiben dürfe und was nicht und besonders abends war ich beim Schreiben sehr vorsichtig. Ich war für sie da und eines Tages beschrieb sie mir, wie sie ihre Pizza am liebsten mag und daran werde ich mich immer erinnern.
Eines Tages, Ihre Mutter war da schon seit einigen Tagen tot, beschloss ich den Flieger nehmen und sie einfach zu besuchen. Denn was ist es schon. 10.000 Schritte am Tag im Vergleich zu der großen Liebe. Der größten, die Du hast. Zunächst kam nichts. Dann eine kurze Antwort, sie habe keine Zeit. Aber dann hatte sie schlechtes Gewissen und dann versuchte ich sie zu trösten.
Manche sagen, es sei der Rhythmus, der das Laufen so gut für die Meditation macht, die anderen meinen, der Rhythmus stelle sich ja nicht von alleine ein, daher sei Laufen schwieriger für die Meditation als Sitzen und dazu noch müsse der Läufer ja auf seine Atmung achten, denn ohne die Atmung keine Meditation. Ich denke aber, beim Laufen geht es um nichts. Es geht einfach darum, einen Schritt nach dem anderen zu machen.
Mit jeder Nachricht wurde meine Liebe zu IHR stärker. Sie mochte die selbe Musik wie ich, die selben Bücher, Filme. Ab und an schickte sie mir auch einen Track. Einfach so, weil sie mich mochte.
Dann hörten die Nachrichten auf. Einfach so. Komplett.
Die Leere bildet eine Projektionsfläche für Träume. Und Träume sind doch besser als die Wirklichkeit, oder?
Die einzige Frage, die sich jetzt stellt ist, was hat diese Geschichte mit Pikachū zu tun? Manchmal, als ich durch die Felder ging, dachte ich etwas gelbes, etwas kleines in der Dunkelheit gesehen zu haben. Ich bin sicher, es war Pikachū. Aber vielleicht habe ich nur geträumt.
©M.Kuliniec