Körperkino

Ein Kunstwerk sagt nicht nur etwas über den Kunstschaffenden aus. Es sagt auch etwas über die Kultur, in der der Schaffender lebt. Und unsere Kultur, wie Ruth Benedict in ihrem Essay Patterns of Culture anmerkt, können wir nicht verlassen. Wir können uns in dem Moment des Schaffens nur schlecht in eine andere Kultur versetzen. Folglich bilden die Kunstwerke (bewusst oder nicht) die aktuelle Kondition der Kultur ab. Wobei ich „Kultur“ hier als Gesellschaftstechnik verstehe und nicht als eine Menge der Kunstwerke, die uns umgeben. Also bilden auch Filme die Kondition der jeweiligen Gesellschaft ab. Oder die Kondition der Gesellschaftlichen Zustände. Auch, wenn sie es nicht wirklich vor haben. 

 

Erster Film. Stammheim.

In seinen Vorlesungen aus dem Jahre 1977 bemerkte Michel Foucault, dass sich der Fokus der modernen Staaten vom Territorium auf die Körper seiner Bürger verlagerte. Hierfür schuf Foucault den begriff der Biopolitik. Noch früher, denn bereits 1959 hat Hannah Arendt in ihrem Essay The Human Condition auf diese Tatsache Aufmerksam gemacht. Später veränderte Giogrio Agamben den Begriff Biopolitik etwas und verband ihn mit dem des Ausnahmezustands (und mit dem Begriff des Lagers). Noch später, Ende der 90er Jahre, griff Peter Sloterdijk diese Idee in einer Rede Regeln für den Menschenpark auf, doch Sloterdijk geriet da in seiner Argumentation etwas durcheinander und wir werden nie erfahren, ob er etwas neues hat sagen wollen oder schlicht den satus quo beschrieb. 

Der Körper ist schutzlos, schwach und schließlich tot.

Und darum geht es auch bei dem Film Stammheim aus dem Jahr 1986 (Regie Reinhard Hauff, Drehbuch Stefan Aust). Vielleicht mehr unbewusst denn bewusst. Denn was wir hier sehen, sind die Folgen der Isolationshaft der Mitglieder der ersten Generation der RAF während des Prozesses. Wir sehen die Zustände der einzelnen Protagonisten. Aber auch, wie der Staat Gewalt anwendet um Recht (wie auch immer es definiert sein mag) zu schaffen. In Gesetzeskraft beschreibt Jacques Derrida die Tatsache, dass ein Staat Gewalt anwenden muss um Recht (das Derrida keinesfalls mit Gerechtigkeit gleichsetzt) durchzusetzen. Die Gewalt, eine dreifache Gewalt, die des Staates, die der Staatsbürger, die zu Terroristen werden, zu Gegnern der Staatsordnung und die Gewalt, die innerhalb der Gruppe herrscht, wird hier auf eklatante Art sichtbar. 

Und die Körper? Die Körper sind schutzlos. Wie immer, wenn sie Institutionen, Staatsapparaten und Systemen ausgeliefert sind. Am Ende sind die Körper verletzt, schwach und schließlich tot. 

Zweiter Film. Johnny zieht in den Krieg.

Es gibt noch weitere Perspektiven. Die erste ist der Bedarf des Staates an jungen Männern, die für den Staat in den Krieg ziehen würden. Hierauf spielt der Originaltitel des Films Johnny got his gun an (aus dem Jahr 1971, Regie führte Dalton Trumbo). Der Körper also ist der Lieferant, der die Interessen des Staates mit der Waffe in der Hand durchsetzen soll. Der Soldat schenkt der Gesellschaft seinen jungen, gesunden Körper. Denn es ist dieser Körper, der verletzt und getötet werden kann. 

Der Körper gehört der Wissenschaft, der Armee, dem Staat.

Und hier kommen wir zur zweiten Perspektive des Films. In seinem Essay Naissance de la clinique: une archéologie du regard médical aus dem Jahr 1962 beschreibt Michel Foucault, dass die Ärzte zunächst die Krankheit haben studieren wollen. Sie liessen also den Körper sterben, damit der Virus, die Bakterie oder was auch immer im Namen der Wissenschaft untersucht werden konnte. Damit verletzten sie nicht nur den hippokratischen Eid. Indem der kranke isoliert wird, sinken nach der Idee der Salutogenese antonovskys seine Chancen auf Genesung. Die geistige Verfassung, die sich immer im Zustand der Isolation, der Absonderung, der Quarantäne verschlechtert hat einen negativen Einfluß auf den Körper. Gleichzeitig schafft die Absonderung ein neues volk, von dem Agamben im Homo Sacer schrieb. Die abgesonderten, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht dieselben Rechte haben wie der Rest der Gesellschaft.

Und der Körper? Er gehört in diesem Film der Armee. Also dem Staat. Bis er selbst sterben möchte. 

Dritter Film Punishment Park

Im bereits zitierten Essay Homo Sacer sagt Giorgio Agamben, dass das Lager eine konsequente Entwicklung der Biopolitik sei. Jean-François Lyotard schrieb im Patchwork der Minderheiten, dass der Kapitalismus eine ständige Krise sei. Er kann ohne die Krise nicht leben, denn diese garantiert dem Kapitalismus die Spannung. Das Lager kann die Spannung im Körper des Gefangenen perfekt regulieren. Zwischen Recht, Rechtlosigkeit und Vernichtung. 

Die Körper schweigen.

Der Film Punishment Park (1971, Regie Peter Watkins) hinterlässt beim Betrachter Schweigen. Deswegen möchte ich nicht viel über den Film sagen. Und die Körper? Die schweigen ebenfalls. 

Alle drei in der Auswahl werden momentan, sofern ich es weiß, nirgends gezeigt. Der Zuschauer ist also auf private Sammlungen oder DVD Käufe im Internet angewiesen. 

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