Botschaften in der Fremde
Der Begriff der Fremde impliziert zwei, besser gesagt drei Perspektiven (von der Perspektive als Begriff werden wir noch ein wenig später sprechen, jetzt nutze ich „Perspektive“ schlicht als Substantiv). Die erste, die mir einfällt hat etwas mit der Grenze zu tun (und auch mit der derridschen differánce, mit der Verschiebung der Grenze). Als erstes fällt mir da die Erkenntnisgrenze, von der wir manchmal in der Phänomenologie hören. Es ist eine bekannte Geschichte. Ein westlicher Intellektueller hat mal Japan besucht (es muss so… kurz nach der Meiji Restauration gewesen sein) und sah etwas, das er mit „Hocker“ benannte. Dabei rekurrierte er auf sein europäisches Wissen, das Wissen der Fremde (von der japanischen Perspektive aus), das aber in der Fremde (von der europäischen Perspektive aus) nicht funktionierte. Was der Europäer als „Hocker“ erkannte war in Wirklichkeit ein Tisch.
Und der Fremde?
Der weitere Begriff ist eben der Begriff des Fremden. Viveiros de Castro beschreibt, weshalb der Begriff gerade in der europäischen Ontologie eine so wichtige Rolle spielt. In dieser Ontologie (ich nehme Viveiros de Castro nicht so wörtlich an dieser Stelle) nämlich ist jede fremde Seele fremd. Wenn wir Tieren einen Gedanken zutrauen, gar Kultur, dann sind wir uns darin einig, dass Tiere keine Seele haben. Zumindest nicht dieselbe, wie wir Europäer. Sogar die Tatsache, dass „Wilde“ Seelen haben, mussten wir Europäer ausdiskutieren und von der Kirche absegnen, bevor wir sie akzeptierten. Schließlich gelangten wir zu einem Relativismus, in dem jede der Seelen (ich erweitere es um den Begriff der Entitäten, ja, vielleicht auch um den Begriff der Dinge) eine eigene Perspektive hat, von der er die Welt betrachtet. Wir mögen offen für die Perspektiven des Fremden sein, dennoch bleibt er „der Fremde“ (ohne jetzt auch Camus hier groß involvieren zu wollen).
Aber der Emigrant?
So verfahren wir auch mit den Fremden, die zu uns, in die Fremde kommen. Wir bemühen uns nach allen Kräften, diese zu integrieren. Ihnen das vermitteln zu wollen, was wir als „Common Sense“ betrachten. Ihnen unsere Ontologie mit aller Kraft aufzuoktroyiren. Dabei handeln die Europäer meistens unreflektiert (auch „Reflexion“ kommt später als Begriff und nicht wie jetzt als Substantiv vor), uninteressiert. Es ist wichtig, dass der Fremde, der Migrant, in dieser Gesellschaft funktioniert. Dass er sich schnell integriert, unsere Werte (oder was wir dafür halten) teilt. Und sich wie die Europäer (ok, ich nenne mich jetzt auch so) benimmt. Am besten, wenn der Fremde in der fremden Gesellschaft nicht auffällt.
Aber die Perspektive?
Dabei lassen wir völlig außer Acht, dass ebenfalls der Emigrant mit einer Ontologie zu uns kommt. Was wissen wir denn so groß von den migrantischen Ontologien? Höchstens das, was wir irgendwo gelesen haben. Höchstens vielleicht ein Buch darüber, wie es denn so in der Fremde ist. Natürlich. Einige sensiblen werden versuchen, sich in die Perspektive des Fremden einzufühlen. Oder sich einreden, dass sie das täten, was sie dann stolz unter Bekannten erzählen werden. Mit all ihren Rentensorgen und Immobilieninvestments. Dabei geht es nicht darum. Es kann sein, dass der Versuch schlicht daran scheitert, dass der Fremde eine völlig andere Ontologie besitzt. Von der wir nichts wissen, weil wir ihm ja eine andere Perspektive (als Substantiv) zuschreiben, die wir aus unserer eigenen ontologischen Tradition kennen.
Aber die Reflexion?
Die Frage wäre natürlich, was dem Fremden in der Fremde bleibt. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist, sich unterzuordnen. Die eigene Ontologie aufzugeben. Und den Diskurs der Fremde aufzunehmen. Die Frage wäre natürlich ob es in die andere Richtung auch so funktionieren würde (ich lasse jetzt die Argumente des Columbianischen Austausches ausser Acht, wenn es sie gab, dann unbewusst). Die zweite wäre, an seiner eigenen Ontologie zu halten. Wir (die Fremden) könnten aber dann immer noch Tische für Hocker halten. Ich bin mir nicht sicher, ob es so interessant wäre.
Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Einen dritten Weg. Der vielleicht subversiver ist, dennoch viel produktiver (da ich in der europäischen Ontologie nicht gefangen bin, kann ich jetzt als Nichteuropäer sprechen). Dieser Weg besagt, dass jede Reaktion, jeder Reflex, den Beobachtenden beschreibt. Wie also der Europäer auf den Fremden reagiert, beschreibt auch den Europäer selbst. Daher würde ich den Aufruf Latours etwas paraphrasieren. Seien wir, die Fremden, die Anthropologen, die für unsere Ontologien Europa kartographieren, sie erkunden und entdecken. Und verhalten wir uns dabei, wie jeder Anthropologe (Levy – Strauss hat es so schön beschrieben) – stören wir sie nicht, lassen wir sie machen, lächeln wir einfach und winken dabei freundlich.