We proudly present a new text by Yuki K. Yuki K. is a writer and musician based in Hamburg. Here he writes about his experience of love. During the pandemic but not only. Also about Love in the age of its mechanical reproduction.
Liebe in Zeiten ihrer technischen Reproduzierbarkeit
Inga
Eine Liebe? Es war nichts. Nicht mehr vielleicht als Gewohnheit. Es gibt kein Wort dafür im Grunde. Wenn ich so nachdenke.
“Stalker” – sagtest Du damals. “Er war nur ein Stalker!“
Und wie immer warst Du begeistert ein Wort gefunden zu haben, das etwas so kompliziertes so einfach beschreibt.
“Er hat sie die ganze Zeit gestalkt.“
Ich war damit nicht einverstanden. Es war etwas… Ich musste raus gehen kurz als Du Dir dann draussen die Zigarette angezündet hast. Wusstest Du denn, dass in Indien das Rauchen auf der Strasse verboten ist eigentlich? Ich musste kurz darüber nachdenken. Und darüber, wo sie denn in Indien hin gehen, wenn sie mal rauchen wollen. Vielleicht gibt es so einen Ort gar nicht. Oder sie gehen nicht kurz vor die Tür. Aber vielleicht meinen sie dasselbe? Ich war noch nie in Indien. Ich weiß es nicht.
“Doch was anderes hat er denn getan?” – es schien als wenn das Thema Dich wirklich mitgenommen hätte. Verständlich auf der einen Seite.
“Er wollte nichts. Er hat sie zufällig gesehen. Und da ist er ihrem Konto gefolgt.“
“Ja, aber du sagtest…“
“Nicht offiziell.“
Kann man jemanden offiziell stalken? Oder nicht offiziell beobachten? Wenn eine Frau oder ein Mann, also wenn jemand die Strasse runter geht und ich sitze hier, im Kaffee, neben einem jungen, traurigen Mädchen, das jetzt viel lieber an ihrem Handy herum schrauben würde und eine Software entwickelte, die den Stalker stalkt, wenn ich also da sitze und der Mensch interessiert mich sehr und ich ihn ganz random so nebenbei betrachte und dann aber meinen Blick immer wieder auf ihn werfe. Dann stalke ich ihn nicht. Denn er ist auf der Strasse und ich weiß nicht, wie er heißt. Oder wo er wohnt. Und dann schaue ich ihm einfach hinterher.
“Das war aber nicht auf der Strasse. Und du weißt, was ich damit meine.”
“Nein, es war nicht auf der Strasse. Und es war auch kein Moment. Und ich gebe zu, es war vielleicht mehr als nur schauen. Aber es war kein stalken.“
Denn er schaute sich ihr Profil immer und immer wieder. Jeden Tag also. Und er schaute auch nach ihren Freunden und nach den Freunden der Freunde. Und er schaute auch, was sie gepostet hat. Bis sie dann eines Tages gepostet hat, dass sie auch auf Instagram ein Account hat. Ab dem Tag betrachtete er regelmäßig beide Profile. Schaute zu, wie sie sich im Spiegel fotografiert, wie sie über Feminismus, HipHop und Hautcremes diskutiert. Wie sie nach Freunden im Internet sucht, denn sie habe keine im wahren Leben. Betrachtete ihre Likes. Und wusste genau, dass sie 18 ist. Und dass sie Inga heißt. Denn das hat sie irgendwo verraten.
Es wurde zum einer Sucht für ihn. Ab und an überlegte er sogar, sich zu Erkennen zu geben. Doch dann kam er sich ziemlich komisch vor. Denn was sollte er ihr schreiben? “Inga, ich beobachte Sie seit Wochen“. Sie würde ihn sofort blockieren. Und er könnte sie nicht mehr…. betrachten.
“Aber das ist stalken. Was wenn nicht das?“
“Ja, schon. Aber es war ein öffentlicher Account. Es ist nicht, wie bei Facebook. Das ist Twitter. Du schreibst was und die ganze Welt kann es sehen. Er hätte ihr auch folgen können. Doch das tat er nicht. Aber darum geht es nicht.“
“Nein?”
“Nein. Es war eben mehr als das.”
Es war an einem Montag oder so. Er konnte sich nicht mehr dran erinnern. Jedenfalls las er das erste Mal bei ihr. Es stand in großen Buchstaben geschrieben. Nur das. Keine Kommentare. Kein Retweet. Nichts. Ich vermute, die ganze Gemeinde hat Angst bekommen. Angst vor dieser Userin. Sie schrieb nur ein Wort: HILFE.
Hilfe. Nichts weiter. HILFE.
In zwei Stunden ist es verschwunden. Und er war froh. Denn was hätte er machen sollen? Hin fahren? Er wusste die Stadt, doch die Straße wusste er nicht. Und er wusste auch das Gesicht. Das war alles. Welches Mädchen schreit HILFE im Internet.
Beim zweiten Mal tat sie ihm wirklich leid. Es war was mit dem Freund und sie diskutierte es mit ihren Freundinnen. Und dann haben sich ein Paar Idioten in die Diskussion auf Twitter eingeschlossen und sie nieder gemacht. Und er glaubte, dass sie in der Sekunde weinte. Und da beschloß er was zu tun. Denn er spürte wirklich hass auf die Männer mit zu viel Testosteron. Testosteron ist gut wenn du im Pornofilm spielst. Sonst aber hilft es dir wenig. Sie löschte den Post und damit ergab die Diskussion keinen Sinn und das war gut so.
“Das tut ein Stalker. Glaub mir.“
In der Sekunde fand ich Deine Augen schön. Ich dachte, dass sie schön leuchten. Ich sagte es Dir aber nicht. Weil es komisch geklungen hätte. Und weil das Thema ein anderes war. Aber ich wusste in der Sekunde, dass Deine Augen ich nicht mehr so schnell los lassen werden. Und dass ich eigentlich Dich für Deine Programmierkenntnisse bewunderte.
Ich war mir eben nicht sicher, ob es stalken war. Wenn ich nämlich jetzt diese Person kennen lernen wollte, aufstehen würde und hinterher liefe, dann würde ich sie ja nicht stalken.
“Stimmt. Das ist zeitlich begrenzt.“
Doch darum ging es nicht.
Denn beim dritten Mal schrieb sie, es sei das Ende. Es täte ihr Leid. Sie hätte sich gerade von ihrem Freund getrennt. Und sie könne nicht mehr.
“Und dann?”
“Nichts. Dann hat sie ihr Konto gelöscht. Aber das war nicht der Punkt. Sie lebte, denn sie hat noch was auf Instagram gepostet. Doch nicht mehr auf Twitter.“
“Ja und?”
“Und nichts. Er litt darunter wirklich. Er merkte es gar nicht erstmal. Dann wurde er traurig. Er kannte das Mädchen. Er wusste sogar, wann sie Geburtstag hat und was sie bekommen hat und alles. Und er fieberte mit ihr bei der Fahrprüfung. Ist es nicht Liebe? Ich meine, auch wenn sie einen Freund hatte, das wusste er. Doch Du kannst für jemand fiebern.”
“Das ist nichts.”
“Doch. Das war Liebe. Das größte was er hätte spüren können. Und darauf kommt an.”
Einen Monat später war auch ihr Instagram weg. Aber er schaute nicht mehr hin. Und Du konntest Gedichte programmieren, die das Herz des Laptops höher schlagen ließen.