Geschichten ohne Vaterland

Text & Bilder ©by Breslau GmbH

Kant hat in seinen Ausführungen zwei Entitäten, besser gesagt, zwei Möglichkeiten der Existenzgruppen ausgemacht. Zwei Existenzräume. Rorty nennt sie „logische Räume“. Zu einem Raum gehört für Kant Gott, Zombies. Zu einem anderen hingegen Kühe, Sonnenblumen und der Planet Mars. Die Entitäten wie Gott, Zombies oder „das eiskalte Händchen“ existieren aus der Sicht Kants in einer logischen Welt. Aus der Sicht Rortys hingegen ist die Existenz Gottes (aber auch die der Zombies oder der Addams Family) durch eine Kulturpraktik legitimiert. Es ist demnach möglich, diese Existenzen entweder durch die Kultur oder eine soziale Notwendigkeit zu beschreiben. 

Wo aber soll das Vaterland stehen?

Vielleicht dazwischen? Irgendwo zwischen der Welt der Zombies und der Kühe. Zwischen dem sozial notwendigem und dem realen. Wobei das Reale eher mit dem Begriff der Heimat definiert ist. Ich kann es anfassen. Ich kann die Menschen, die Heimat bilden, ansprechen. Ich kann, wenn ich wollte, auch die Kühe anfassen, die meine Heimat ausmachen könnten. Heimat wäre demnach etwas privates, etwas, ja, intimes. 

Was ist also mit dem Begriff des Vaterlandes?

Selbstverständlich ist der Begriff der Kuh nicht lediglich auf die Kuh in meiner Heimat begrenzt. Jeder kann auch nach Idaho fliegen, aus dem Flugzeug aussteigen und dort die Kuh anfassen. Der Heimatbegriff löst auch Emotionen aus. Ich kann diese Emotion in mir tragen und sie jedesmal aufleben lassen. Emotionen gehörten dann in die Welt des Planeten Mars und der Sonnenblumen. Aber ich habe keine gleiche Emotion, wenn ich eine Kuh aus Idaho umarmen würde. Ich könnte auf jeden Fall Emotionen empfinden bei der Umarmung, doch diese Emotionen wären nicht dieselben. 

Und das Vaterland? Es ist ein Begriff, der dem der Nation ähnelt. Vaterland gehört demnach in die selbe Kategorie wie die Begriffe Zombie oder „das eiskalte Händchen“. Irgendwo zwischen dem sozial Legitimierten und dem Kulturpraktischen. Es hängt eben von der Kulturpraktik ab, ob ich den Begriff „Vaterland“ benutze oder nicht. 

Vaterland ist also nicht die Polis in der ich aufgewachsen bin. Es ist keinesfalls ein Stamm, dem ich eventuell angehören könnte und dessen Mitglieder ich beim Namen nennen könnte. Denn Vaterland ist auch politisch besetzt. Fein säuberlich abgegrenzt durch die äußeren Grenzen und eine Hauptstadt. Wenn jemand „Vaterland“ sagt, fallen mir sofort Begriffe, wie „Frankreich“, Aserbaidschan“ oder „Kenia“ ein. Weniger Begriffe wie Perpignan, Hamburg oder Xochimilco.

Es zu einem also eine politische Praxis, ein Vaterland zu haben. Geschaffen, um Bewohnern einer fein und säuberlich abgegrenzten Weltgegend eine Identifikation zu geben. Unabhängig der Tatsache, ob sich diese mit dem Begriff identifizieren oder nicht. Diese Identifikation kann dann, wie die Identifikation mit einer Religion, genutzt werden. 

Emilé Durkheim bemerkte mal, dass sich die Bedeutung der Religion hin zur Politik verschöbe. Menschen versammeln sich unter eine Fahne statt unter den religiösen Symbolen ihrer Gruppe. Auch deswegen würde der Begriff „Vaterland“ der Kategorie „Zombie“ angehören. Für diejenigen unter uns, die an Zombies glauben, ist der Begriff „Zombie“ zu einem Identifikationssymbol geworden. 

Das führt uns zu der nächsten Frage. Nämlich, ob wir denn den Vaterlandsbegriff benötigen. Und wofür würden wir ihn denn benötigen, wenn wir es täten?

Selbstverständlich. Menschen fühlen sich sicher in einem Vaterland. Abgegrenzt von anderen Vaterländern, die das Vaterland umgeben. Die anders sind als dieses Vaterland. Nicht, dass sie eine andere Sprache sprächen, wie Boas es bemerkte. Es geht nicht unbedingt um Sprache. Es geht darum, dass die da drüben, hinter der Grenze, die in dem anderen Vaterland halt anders sind als wir. 

Dieses Gefühl kann genutzt werden. Ich kann dann behaupten, dass es meinem Vaterland wirtschaftlich besser geht als dem anderen. Eine Konzentration auf die Heimat kann dieses nicht leisten. Denn Heimat sind eben Freunde, Familie, Gefühle. Gefühle können wirtschaftlich nicht genutzt werden. Das Vaterland schon. Es kann unsere Aufmerksamkeit davon ablenken, dass Wirtschaftsvorgänge unabhängig von Begriffen, wie Vaterland sind. Dass der Erfolg der Wirtschaft auch nichts mit dem Vaterland zu tun hat, sondern mit Unternehmen. Dass die Wirtschaft, zumal die kapitalistische, auf Gewinne aus ist und dass sie Trends folgt, die Gewinne versprechen und dass in diesem Streben nach Gewinn das Streben nach Glück einer Gesellschaft unwichtig ist. Aber dank des Vaterlandes kann gesagt werden, dass ein anderes Vaterland uns eventuell das Glück wegnehmen will. 

Und dann?

Dann werden Menschen ermordet. Und Kriege geführt. Das andere Vaterland kann dann als Bedrohung angesehen werden und deswegen kann es vernichtet werden. Es kann dann die Loyalität dem Vaterland gegenüber aufgerufen werden. Dabei ist es relativ egal, wie groß oder klein das Vaterland ist und wie viele Völker in dem Vaterland leben. Wichtig ist der Begriff der Grenze, der bei der Heimat eher verschwindet. Denn die Heimat kann mitgenommen werden. Oder ein neuer Ort kann zur Heimat werden. Während das Vaterland fein säuberlich abgegrenzt ist. 

Deswegen kann das Vaterland verteidigt werden. Mit Gewalt. Mit einer staatlichen Gewalt gegen die inneren und einer militärischen gegen die äußeren Feinde. 

Mit dem Vaterland auf den Fahnen ziehen wir also in den Krieg und glauben, dass andere Vaterländer, seien sie auch so weit entfernt, dass wir nicht wissen, wo sie genau liegen, unseren Wohlstand gefährden. 

Das Vaterland ist nicht die Gesellschaft. Es sind nicht die Menschen.

Das Vaterland ist nicht die Gesellschaft. Aber es möchte den Begriff der Gesellschaft definieren. Es möchte, dass wir in einer anonymen, großen Gruppe leben. Dass wir die Mitglieder dieser Gruppe nicht persönlich kennen. Denn dann ist es einfacher im Namen eines abstrakten Begriffs Menschen zu mobilisieren.

Nein. Wir benötigen keine Vaterländer. Wir brauchen keinen anonymen Begriff, der zur Gewalt anstiftet. Wir brauchen eine Heimat. Denn die Geschichte ist stets die Geschichte des einzelnen Menschen. Es ist die Geschichte meiner Heimat. Das Vaterland zerstört sie nur. 

©by Breslau GmbH 1989 – 2021

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