Mad Marxismus

We are proud to present an essay written by Tomasz Kozak. The essay first appeared on Facebook in Polish. Now here in the German language. Tomasz Kozak is a theoretician and visual artist combining philosophy, political sciences, and video art. He is an associate professor at the UMCS Institute of Fine Arts in Lublin, Poland. Currently, he works on a book inspired by Mark Fisher’s concept of libertarian communism.

©by Tomasz Kozak

Max Dogin schickte mir ein fabelhaftes Poster (paste – up) zu. „Mad“ Max Rockatansky bildet auf den Straßen des (potentiell revolutionäres) Paris eine Hybris mit Marx. Der Autor des Posters ist der französische Street – Art Künstler Jaeraymie… (externer Link)

Doch die Collage hat auch einen tieferen Sinn. Denn Mad Max erschien aus den phantasmagorischen Ruinen der Zivilisation, die nach der Treibstoffkrise der 70 Jahre imaginiert wurden. Marx liebte Krisen. Und sein Treibstoff war die Hoffnung, dass die jetzige Zivilisation zusammenbrechen wird. Während der ersten globalen Finanzkrise 1857, gewann Marx plötzlich zurück seine Fröhlichkeit, seine Lebensfreude und seine Energie für die Arbeit. Er war erfreut über die Panik in den USA, aufgeregt über den Stimmungseinbruch in England. In einem seiner Briefe schrieb er von seismischen Erschütterungen, die jeden Kenner begeistern würden. 

Marx hat sich stets gerne Masken übergezogen.

Wie wir sehen, ist der radikale Ästhetizismus im Angesicht des Zusammenbruchs nicht nur die Spezialität einiger Konterrevolutionäre vom Schlag eines Ernst Jüngers (der 1944 den Anblick des durch alliierte Bomben zerstörten Paris vom Dach des Hotels „Raphael“ mit einem Burgunder auskostete). Doch während Jünger darüber entsetzt war, dass sich die Deutschen durch den Krieg in „Mohren, Neger, Kannibalen“ verwandelt hätten, hat sich Marx gerne „wilde“ Masken angezogen. Engels bezeichnete ihn in seinen Briefen als „lieben Mohr“ und der „Mohr“ bezeichnete sich selbst als den „Mohren aus Venedig“. Die Maske Othellos, eines mauretanischen Generals, war in diesem Fall mit Gewaltbereitschaft durchsetzt. Gemeinsam mit Engels unterstützte Marx die marokkanischen Partisanen, die sich der spanischen Invasion 1859 entgegen setzte. 

Irgendein historischer Materialist könnte diesen Kontext eventuell für genealogische Fragestellungen nutzen, die vielleicht bei der Analyse der gegenwärtigen Legenden über eine angebliche Ausbreitung eines angeblichen Islamolinkismus im gegenwärtigen Frankreich nutzen… Allerdings ist das Problem viel tiefer. Und viel interessanter. Denn der Marxismus war nicht ausschließlich „wissenschaftlich“, war nicht nur der graubärtige Positivist, den Lyotard in „Économie Libidinale“ einen repressiven Alten schimpfte. Marx ist auch das durch Lyotard affirmierte „wilde“ Mädchen: Eine rasende Begierden kumulierende, lebendige Bombe. 

Das Gehirn - ein Bolide, der die Macht der errichteten Barrieren des ersteren überwindet.

Doch was heißt es, verrückt zu sein? Mad zu sein? Die englische Etymologie leitet das Adjektiv “mad” von lateinischen und germanischen Wurzeln ab, die eine bestimmte “Migration” bezeichnen.   “Mad” ist dem polnischen “Verrückten” insofern ähnlich, als derjenige verrückte, der “aus sich selbst herauskomt”. To go mad means to jump “beside oneself with excitement or enthusiasm”. Die Verknüpfung dieser Bedeutungen mit dem Ursprung von “Gehirn” erweist sich, als inspirierend. In Libermans “Analytical Dictionary of English Etymology” wird die Abstammung des Substantivs “Gehirn” auf altenglische und griechische Quellen zurückgeführt: “braegen” und “βρεγμός”. Diese negieren konventionelle Assoziationen, weil sie nach Liberaman etwas bezeichnen, das nicht in etwas anderem eingeschlossen ist – z.B. im Schädel – sondern das Gegenteil: Materie, die aus ihrem ursprünglichen, verknöcherten Rahmen ausbrechen will. 

Die Funktion des Gehirns besteht darin, Grenzen zu überschreiten, Verbote zu brechen. Das Gehirn hat eine explosive Essenz. Dank ihr kommt der Mensch kreativ “aus sich heraus”… Hier fällt mir eine Passage aus einem Brief an Engels aus dem Jahr 1857 ein: Marx bewundert die subversive Intelligenz seiner jüngsten Tochter: “Sie ist ein erstaunlich geistreiches Geschöpf. Sie behauptet, zwei Gehirne zu haben“.Ähnliches gilt für den Marxismus. Einerseits ist er graubärtig, verkalkt, anti-utopisch. Andererseits ist er “mädchenhaft”. Das zweite Gehirn ist ein Bolide, der die Macht der errichteten Barrieren des ersteren überwindet. 

Hieraus ergeben sich die Bestrebungen des Mad-Marxismus. Das verkrustete, versteinerte muss zerstört werden, die eigene Identität in Schutt und Asche zerlegt werden. Und auf den Ruinen bauen, zum Teil auch aus den Ruinen – ein kreatives Selbstverständnis, eine freiere Subjektivität, eine vernünftigere Souveränität. Und eine bessere Gesellschaft. Ohne Illusionen, die sich in Trümmer verwandelt haben, aber auch ohne Hemmungen. Maximaler Wahnsinn bedeutet Ultra-Rationalität – entfesselt gegen die Konservativen (die Rechten, die Linken). Der V8 Pursuit Special – das Fahrzeug von Mad Max – kann mit dem Mad-Marxismus zusammengeschweißt werden. Das Ergebnis wird ein dreifach bewaffneter Akzelerationismus sein. Erstens gegen den Kleinfaschismus (der nicht einmal Schutt produziert, sondern nur Staub, Smog, Schlamm, Dreck, Kloake). Zweitens, gegen die “kommunistische” Gesinnung (Rückfall in einen erdrückenden Kommunismus). Drittens, gegen den naiven Nihilismus (im Stil von Nick Land). “Wir kapitulieren nie”.

©Tomasz Kozak

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