Das Verständnis der Wiederholung wird von der Art bestimmt, wie wir die Zeit definieren. Hierzu gibt es verschiedene Vorschläge. Ich werde mich an Bruno Latour halten, der in diesem Zusammenhang sagt, unser Verständnis der Zeit sei von einem Glauben an den Fortschritt bestimmt. Da die Zeit nach vorne (oder in eine andere Richtung) fortschreite, glauben wir, mehr Erkenntnis zu erlangen. Dieser Glaube impliziert auch eine Idee, dass etwas überwunden werden könnte. Dass sich Gesellschaften ändern könnten. Bruno Latour (ich habe es hier bereits beschrieben) schlägt daher auch eine andere Sichtweise vor: Die Zeit ist eine Spirale. Vergangene Vorgänge liegen nicht weit weg. Verstehen wir die Zeit auf diese Art, wird uns die Brutalität der Russischen Gesellschaft nicht als eine Wiederholung sondern als etwas dieser Gesellschaft immanentes. Egal auf welchem Ort dieser Gesellschaft die Brutalität statt findet. Im Krieg tragen die Repräsentanten dieser Gesellschaft die Brutalität in das überfallene Land.
Der Schöngeist, so Gilles Deleuze in Différence et Répétition sei wie ein Friedensrichter auf dem Schlachtfeld, der nach Frieden ruft (ich bin mir nicht sicher, ob Deleuze diesen Satz nicht von Nietzsche übernommen hat, seid also nachgiebig mit mir). Der Schöngeist übersieht, dass in manchen Situationen „Frieden“ den Tod bedeutet. Die unausweichliche Auslöschung unserer Zivilisation. Der Schöngeist hingegen steht immer noch da und ruft nach dem Frieden. Oder danach, was er für den Frieden hält. Dabei ist er nicht nur äußerst arrogant (denn der Frieden in seiner Ontologie muss nicht unbedingt dem entsprechen, was wir, die anderen für den Frieden halten). Er ist auch äußerst gefährlich. Nicht nur weil er eine Doppelmoral repräsentiert. Sondern auch deswegen, weil er den Begriff des „Friedens“ gefährdet. Er möchte in Wahrheit keinen Frieden. Er möchte lediglich seine eigenen Interessen durchgesetzt haben.
Gibt es ihn? Diese Frage wurde bereits auf die eine oder andere Art und Weise gestellt. Wobei es hier nicht unbedingt um Seine Existenz oder Nichtexistenz geht. Es gibt da wichtigere Fragen. Es gibt da Entwicklungen. Diese Frage wurde dann auch von Lyotard zitiert (ich bin mir nicht sicher, ob es auch Derrida war, der sie zitiert hat). Und nicht unbedingt im Kontext Nietzsches, der hier auch seine Rolle spielen darf. Solche Fragen signalisieren uns, dass eine Denkweise, dass eine Ontologie, eine Metaphysik, demoliert, zerstört wurde. Dass das, was sich Menschen gegenseitig erzählen, manchmal, schnell und systematisch durch Geschehnisse schlicht wertlos geworden ist. Keine Angst. Wir sind robust. Wir bauen uns neue Theorien auf.
Da gibt es Gott. Einen Schatten von Gott. Vakhtang Kebuladze sagt, die Russische Zivilisation sei ein Schatten. Ein schlechtes Abbild. Dieser Schatten liefert uns nicht nur einen Glauben, mit dem wir nichts anfangen können. Es ist viel mehr als der Glaube, was den Schatten repräsentiert.. Und die bloße Menge kann schon Angst machen. Es ist eine ganze Philosophie, eine ganze Denkweise, die, ihres Zentrums beraubt, neu aufgestellt und gegen uns benutzt wird. Es ist so, als eine Philosophie umgekehrt worden wäre und nun als Waffe dient. Der Gegner hat mehrere solche Waffen. Diese soll uns verwirren. ich sage da nur einen Begriff. Postmoderne. Und natürlich können wir jetzt darüber lange diskutieren. Doch es ist lediglich ein Schauplatz. Eines der vielen Orte des Geschehens. Die Schattenpostmoderne.
Oder so ähnlich. Auch wenn „Blutrausch“ hier eine kleine Verschiebung darstellt. Das sechste Gebot spricht vom „Morden“. Die Nahuatl haben stets ihre Opfer sehr gut behandelt. Sie wurden Familienmitglieder. Der Blutrausch auf dem Templo Mayor war sehr wohl begrenzt. Sehr wohl beschrieben und diente einem Zweck. Es waren heilige Tätigkeiten, heilige Riten, die Priester in den Blutrausch versetzt haben. Kannibalistische Riten, die im wohlgeformten Strukturalismus von Levi – Strauss beschrieben wurden (einige von ihnen zumindest, ich möchte nicht generalisieren), wurden stets als Teil einer Religion angesehen. Nie ohne Grund begangen. Und manchmal auch ohne Blut. Blutrausch, ohne einen Hintergedanken, ohne irgendeine Idee (vielleicht mit der Schatten einer Idee), sind nicht mal „Mord“. Manchmal sind sie schlimmer als das.
Denn davon gibt es eine ganze Menge. Vielleicht zu viele. Doch eines wird uns lange in Erinnerung bleiben. Das Zeichen des Schattens. Ein Zeichen, intelligent eingesetzt, kann eine verwirrt agierende Horde hinter sich versammeln. Zeichen sind so verräterisch, weil ihnen Bedeutungen zugesprochen werden können. Und ein Soldat, so Emile Durkheim (auch wenn ich mit seiner Anthropologie nicht immer übereinstimme), ist bereit zu töten, im Namen eines Zeichens. Verlassen wir den Kontext des Zeichens, verliert er seine Bedeutung, kann eine andere erlangen oder diese verlieren. Die Kunst, mit einem Zeichen umgehen zu können, ist eine hohe. Jemand, der diese stümperhaft kopiert, kann dennoch ihre Kraft bewahren. Und zeugen von der Schwäche der Gesellschaft, wenn sich diese hinter dem stümperhaften Zeichen versammelt.
Denn die wird im Chaos versinken.