Ein Spaziergang in der Nachbarschaft. Aber nicht nur.

 

Wobei es nicht nur um das Spazieren geht. Nicht um die Bewegung. Darüber habe ich schon mehrmals geschrieben. Hier. Und hier ebenfalls.

Es geht um etwas völlig anders. Darum, dass wenn jemand spaziert, er die Umgebung mit ganz anderen Augen betrachtet, darum, dass es achtsam ist, spazieren zu gehen. Darum, dass der Spaziergang zur Meditation werden kann. Auf eine spezielle Art.

Ich muss gestehen, dass ich es bis vor kurzem gar nicht so empfunden habe. Es war eher der Blick nach Innen, der mich während eines Spazierganges begleitet hat. Doch die Nachbarschaft habe ich nicht beobachtet. Dabei geht es mir gar nicht um die großen Dinge, den Weg, die Autos. Es geht um das kleine. Darum, wie ein Baum ein Verkehrszeichen verdeckt, wie eine Laterne schief steht, wie in einem Zaun eine Latte fehlt oder wie die Katze des Nachbarn geschickt auf die Mauer springt. Darum, wie der Bach in dem kleinen Park aussieht und wie die Gegend beim Regen riecht. Auch um die Unterschiede geht es. Zwischen Winter und dem Sommer, zwischen letzter Woche und heute. Und darum, was diese Unterschiede ausmacht.

 

Bislang habe ich auch eher marschiert denn wirklich spaziert. Doch was unterscheidet den Marsch von einem Spaziergang? Wo ist der Unterschied? Auch wenn einer marschiert, kann der die Gegend betrachten. Er kann auch stehen bleiben und den kleinen Stein in der Mauer bewundern, der gerade abfällt, sich aber dennoch mit der letzten Kraft an der Mauer hält.

Kann er? Sicherlich. Er kann. Doch der Marsch hat eher sportliche Aspekte. Und er hat auch den Aspekt, wenn, dann nach Innen, in sich hinein zu meditieren. Nicht für das Äussere offen zu sein. Nicht für die Umgebung sondern für sich selbst. Für seine Gedanken oder von mir aus für seinen eigenen Atem. Das Spazieren ist etwas anderes. Das Spazieren beinhaltet auch ein Herumirren. Ich muss nicht so schnell nach Hause kommen. Ich kann auch in eine mir bislang unbekannte Gasse einbiegen. Und wenn ich mich verlaufe, kann ich zurück gehen. Und auf dem Weg wieder Neues entdecken. Einen blauen Zaun, der schön vom grünen Gestrüpp verdeckt wird. Oder ich kann beobachten, wie der Schnee den Gehweg bedeckt. 

Das Spazieren, das Herumirren beinhaltet das sich Verlaufen, es beinhaltet das sich Vergessen. Die Beobachtung des Äusseren. Natürlich kann ich mich dabei auch auf meinen Atem konzentrieren. Doch in diesem Fall brauche ich nicht meine Gedanken vergessen. Denn ich bin von der Umgebung entzückt. Wobei ich an dieser Stelle den japanischen Begriff der Entzückung bevorzugen würde, es meint, sich der Umgebung hinzugeben, in ihr aufzugehen, sie in sich aufsaugen, wie Bashō einst entzückt war von den vom Baumgrün (das tut er in „Auf Schmalen Pfaden Durch Das Hinterland“). Aber wir können einfach nur betrachten. So wie ich bei Achtsamkeitsübungen schlicht betrachten kann ob das Abwaschwasser gerade warm oder kalt ist und wie es sich anfühlt, wenn es kalt ist. Und dann sind die kleinen Steine, die Entdeckungen so spanend, dass ein Vergessen nicht mehr notwendig ist, da ich meine Gedanken sowieso vergessen habe, ich nutze sie nicht. Wie bei einem spannenden Film. 

 

Ich bin bis vor Kurzem Marschiert. Und habe begriffen, dass ich lange Zeit nicht mehr spazieren gegangen bin. Bis ich das Anime von Jiro Taniguchi „Der spazierende Mann“ gelesen habe. Es beschreibt die Spaziergänge eines uns näher nicht bekannten Mannes, der in seiner Umgebung, ja, spazieren geht und sie dadurch entdeckt. Der spontan aus seinem Bus aussteigt um einen Hügel in der Nachbarschaft zu entdecken. Oder halt eine Station früher auf dem Weg ins Büro um einen alten Fluß zu bewundern. 

Seit der Lektüre geh ich spazieren. Bei jedem Wetter. Und betrachte die Veränderungen. 

Dank der DSGVO keine Links. Aber Ihr könnt googeln. 

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