Ein Spaziergang in der Nachbarschaft. Aber nicht nur.

 

Wobei es nicht nur um das Spazieren geht. Nicht um die Bewegung. Darüber habe ich schon mehrmals geschrieben. Hier. Und hier ebenfalls.

Es geht um etwas völlig anders. Darum, dass wenn jemand spaziert, er die Umgebung mit ganz anderen Augen betrachtet, darum, dass es achtsam ist, spazieren zu gehen. Darum, dass der Spaziergang zur Meditation werden kann. Auf eine spezielle Art.

Ich muss gestehen, dass ich es bis vor kurzem gar nicht so empfunden habe. Es war eher der Blick nach Innen, der mich während eines Spazierganges begleitet hat. Doch die Nachbarschaft habe ich nicht beobachtet. Dabei geht es mir gar nicht um die großen Dinge, den Weg, die Autos. Es geht um das kleine. Darum, wie ein Baum ein Verkehrszeichen verdeckt, wie eine Laterne schief steht, wie in einem Zaun eine Latte fehlt oder wie die Katze des Nachbarn geschickt auf die Mauer springt. Darum, wie der Bach in dem kleinen Park aussieht und wie die Gegend beim Regen riecht. Auch um die Unterschiede geht es. Zwischen Winter und dem Sommer, zwischen letzter Woche und heute. Und darum, was diese Unterschiede ausmacht.

 

Bislang habe ich auch eher marschiert denn wirklich spaziert. Doch was unterscheidet den Marsch von einem Spaziergang? Wo ist der Unterschied? Auch wenn einer marschiert, kann der die Gegend betrachten. Er kann auch stehen bleiben und den kleinen Stein in der Mauer bewundern, der gerade abfällt, sich aber dennoch mit der letzten Kraft an der Mauer hält.

Kann er? Sicherlich. Er kann. Doch der Marsch hat eher sportliche Aspekte. Und er hat auch den Aspekt, wenn, dann nach Innen, in sich hinein zu meditieren. Nicht für das Äussere offen zu sein. Nicht für die Umgebung sondern für sich selbst. Für seine Gedanken oder von mir aus für seinen eigenen Atem. Das Spazieren ist etwas anderes. Das Spazieren beinhaltet auch ein Herumirren. Ich muss nicht so schnell nach Hause kommen. Ich kann auch in eine mir bislang unbekannte Gasse einbiegen. Und wenn ich mich verlaufe, kann ich zurück gehen. Und auf dem Weg wieder Neues entdecken. Einen blauen Zaun, der schön vom grünen Gestrüpp verdeckt wird. Oder ich kann beobachten, wie der Schnee den Gehweg bedeckt. 

Das Spazieren, das Herumirren beinhaltet das sich Verlaufen, es beinhaltet das sich Vergessen. Die Beobachtung des Äusseren. Natürlich kann ich mich dabei auch auf meinen Atem konzentrieren. Doch in diesem Fall brauche ich nicht meine Gedanken vergessen. Denn ich bin von der Umgebung entzückt. Wobei ich an dieser Stelle den japanischen Begriff der Entzückung bevorzugen würde, es meint, sich der Umgebung hinzugeben, in ihr aufzugehen, sie in sich aufsaugen, wie Bashō einst entzückt war von den vom Baumgrün (das tut er in „Auf Schmalen Pfaden Durch Das Hinterland“). Aber wir können einfach nur betrachten. So wie ich bei Achtsamkeitsübungen schlicht betrachten kann ob das Abwaschwasser gerade warm oder kalt ist und wie es sich anfühlt, wenn es kalt ist. Und dann sind die kleinen Steine, die Entdeckungen so spanend, dass ein Vergessen nicht mehr notwendig ist, da ich meine Gedanken sowieso vergessen habe, ich nutze sie nicht. Wie bei einem spannenden Film. 

 

Ich bin bis vor Kurzem Marschiert. Und habe begriffen, dass ich lange Zeit nicht mehr spazieren gegangen bin. Bis ich das Anime von Jiro Taniguchi „Der spazierende Mann“ gelesen habe. Es beschreibt die Spaziergänge eines uns näher nicht bekannten Mannes, der in seiner Umgebung, ja, spazieren geht und sie dadurch entdeckt. Der spontan aus seinem Bus aussteigt um einen Hügel in der Nachbarschaft zu entdecken. Oder halt eine Station früher auf dem Weg ins Büro um einen alten Fluß zu bewundern. 

Seit der Lektüre geh ich spazieren. Bei jedem Wetter. Und betrachte die Veränderungen. 

Dank der DSGVO keine Links. Aber Ihr könnt googeln. 

Über die Zeit. Oder über “Your Name”

 

Habt Ihr schon mal über die Zeit nachgedacht? Nein, nicht darüber, wie die Zeit vergeht. Oder über unseren Einfluß auf die Zeit. Sondern daran, dass sie in verschiedenen Richtungen laufen kann. Dass sie nicht nur mal schneller, mal langsamer läuft. Sondern darüber, dass sie eine Wendung nehmen kann. Und dann auch rückwärts fließen kann, dass wir an einen Ausgangspunkt wieder gelangen können. Dass sie manchmal anhält und dass wir dann darüber meditieren können, wie sie ist und was wir mit ihr anstellen können.

Das erzählt 君の名は。oder wie wir es übersetzen “Your Name” von Makato Shinkai. Ich habe den Anime Ende Mai während des Japanischen Filmfests in Hamburg gesehen. Seitdem ist einige Zeit vergangen. Sie ist nicht angehalten. Die Zeit ist eher gerannt seit damals. Das macht nichts. Ich kann zu dem damaligen Punkt kommen und darüber berichten (ich erinnere ich dunkel, dass gerade in dieser Art mit der Zeit umzugehen Derrida in “Ghost Dance” als Geistererscheinung beschrieben hat).

In Your Name geht es darum nicht. Nicht vordergründig zumindest. Es geht auch nicht, trotz des Titels, um die Frage nach der eigenen Existenz. Darüber habe ich schon hiergeschrieben. Doch das war ein anderer Anime. Es geht um etwas ganz anderes. Es geht um die Liebe. Doch dazu gleich weiter.

Ein Junge und ein Mädchen tauschen die Körper, doch ich möchte Euch nicht zu viel verraten. Der Anime ist viel zu interessant um die ganze Geschichte hier erzählen zu wollen. Nur so viel: Zeit ist ein Aspekt, sie fließt am Rande. Manchmal parallel, wenn beide Protagonisten in ihren vertauschten Leben eine Möglichkeit finden, miteinander zu kommunizieren. Wie ist es, wenn ich einen Tag verstreichen lassen muss um an eine mir nahe Person, ja an mich, eine Nachricht zu schreiben. Wie ist es, wenn ich auf diese Nachricht warten muss? Und es ist gar nicht die Frage nach der Geduld. Geduld hat mit der Zeit nichts zu tun. Denn die Zeit fließt unabhängig von der Geduld des Betrachters. Wenn er geduldig ist, kann er höchstens achtsam zuschauen, was passiert, während die Zeit um ihn herum vergeht.

Die Zeit bedeutet auch Gleichzeitigkeit. Wenn Ereignisse gleichzeitig statt finden. Oder wenn zwei liebenden sich ihres Gefühles bewusst werden. Und dann ineinander eintauchen. Denn auch diese Metapher kann “Your Name” sein. Und auch hier spielt die Zeit eine enorme Rolle. Eben als Gleichzeitigkeit. Denn Liebe, im Sinne von Agápe, im Sinne der tiefen Liebe, bedeutet ja, die grenzen des eigenen Ich aufzubrechen und in den anderen einzutauchen. Und Dinge gleichzeitig erleben. Und wenn der andere zum verabredeten Zeitpunkt nicht da ist, wenn eine Katastrophe ihn daran hindert, wenn er gar tot ist?

Das ist der dritte Aspekt der Zeit in “Your Name”. Die Möglichkeiten des Zeitverlaufes. Jeder von ihnen ist wahr. Und jede Realität kann jederzeit auftreten. An jeder Stelle des Lebens. Zu jedem Zeitpunkt. Und oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst. Denn wir machen Pläne, haben etwas vor und selten versuchen wir, die Zeit anzuhalten um über sie nachzudenken.

Ich möchte nicht alle drei Zeitstränge beschreiben, die “Your Name” erzählt. Ich würde das wunderbare Ende verraten. Nur eine Sache. Es geht um die Betrachtung der Zeit. Und diese kann sehr lehrreich sein. Daher setzt Euch hin, atmet langsam und betrachtet sie, die Zeit, wie sie vergeht und Wendungen nimmt. Und dann nehmt Euch die Zeit und schaut “Your Name”. Es lohnt.

Heute keine Links.

Japanisches Filmfest Hamburg 2018

Heute startet das japanische Filmfest in Hamburg. Auch diesmal stehen sehr viele Filme zur Auswahl. Das Zenvampires Team wird womöglich einige herauspicken. Ob wir darüber berichten werden? Womöglich.

Lasst Euch überraschen.

Hier gehts zum Veranstalter:

https://jffh.de

Die Reise nach Japan

 

Die Reise nach Japan. Eine Reise, die ewig dauert und nie statt finden wird. Eine Reise nach Japan. “Podróż do Indii”. Es war der Titel eines Romans, den ich nie zu Ende gelesen habe. Die Reise nach Indien. Ich habe nur den Anfang gelesen. Der Protagonist erklärt einer Gruppe zufällig getroffener Menschen am Strand, er wolle nach Indien fahren. Ich weiss nicht, ob er am Ende nach Indien findet oder nicht. Für die Reise ist es nicht so wichtig. Oder etwa doch?

Wann fing es mit der Reise an? Vor einigen Jahren vielleicht. Seit dem habe ich Hamburg nicht verlassen. In Richtung Japan zumindest nicht. Ich habe auch keine Reisevorbereitungen getroffen: Keinen Reiseführer gekauft, keinen kleinen Koffer, keine Hotels mir angeschaut oder auch nur Stätten ausfindig gemacht, die ich denn in Japan besuchen wollte. Ich wüsste auch nicht, was ich denn da wollte, wäre ich eines Tages dort. Geht es darum auf einer Reise? Anzukommen? Ich denke nicht.

Ich habe hier bereits vom Weg gehen geschrieben. Von einer Bewegung weg von einem Ort. Auch das ist eine Reise. Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen, aber wir gehen. Die Reise ist eine geistige Haltung. Das Ziel, Japan, definiert lediglich diese Haltung und hat nichts mit dem geografischen Ziel zu tun. Es ist doch ähnlich, wie Bashōs Suche nach der perfekten Mondansicht, die ewig dauern kann. Denn bei der Suche, in der Bewegung betrachtet er nicht lediglich den Himmel sondern auch mit Achtsamkeit das, was um ihn herum geschieht. Und der Mond, nach dem er Such gerät zu einem Nebendarsteller der Reise, zum Hintergrund, zu einer Idee, die nie in Erfüllung gehen muss.

Ich war mal in Venedig und doch habe ich die Stadt nie besucht. Ich war da, es war eine ganz spontane Sache. Verabreden, packen, Tickets holen, fliegen, ins Hotel, fragt mich nicht nach dieser Stadt, ich habe sie nie gesehen und doch abfotografiert.

Nach Japan werde ich nie kommen. Doch es spielt keine Rolle. Ich reise hin. Auch wenn ich den Strand, wie der Reisende nach Indien, wohl nie verlassen werde. Habt Ihr den Strand schon mal verlassen?

Heute ohne Links, da ich mich momentan auf einer Reise befinde.

Es gibt Blogger, Fotografen usw. die Links zu ihrem Setup posten. Ich tue es nicht. Aus einem einfachen Grund: Mein Setup ist ziemlich alt.

Dead Polaroids

 

Ok, ich wollte an dieser Stelle schreiben, wie ich die Ausstellung „The Polaroid Project“, die aktuell im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg läuft so finde. Wir haben die Ausstellung Anfang April mit Dan besucht. Aber wir haben uns anders entschieden. Beschrieben wir die Ausstellung, so würdet Ihr Euch ein Bild machen können, das wäre dann positiv oder negativ, aber auf jeden Fall wäre es nicht gut. Wer die Ausstellung sehen wollte, hätte bereits eine Erwartung, eine Hoffnung. Ob diese nun negativ oder positiv wäre, sei dahin gestellt. Das wollten wir nicht.

Statt dessen wollten wir darüber berichten, warum gerade Polaroids. Habt Ihr schon mal darüber nachgedacht? Warum diese jetzt so einen Hype erleben. Weil sie hip sind? Tja, vielleicht. Vielleicht ist es auch so, dass Menschen heute einfach Sehnsucht nach der guten, alten analogen Welt haben. Ich denke nicht nur. Denn das wäre zu wenig. Und dann gäbe es sicherlich viel mehr Punkte, die wir hätten benutzen können. Die analog sind. Also alt.

Ich glaube, da geht es auch um was anderes.

Manch einer sagt dann die Haptik. Es ist was anderes, ein kleines Bild in der Hand zu halten. Statt ein digitales im Smartphone. Es gab auch hier Versuche, kleine Drucker auf den Markt zu geben. Drucker um digitale Fotos in der Hand halten zu können. Ein schickes Spielzeug, das niemand haben wollte. Käufer, Fans und Hersteller mögen mir bitte an der Stelle verzeihen. Vermutlich war es der Fall in den 80ern. Damals wurden Fotos im Labor entwickelt. Ich habe selbst manchmal zugeschaut. Oder es wurden halt Polaroids gemacht. Und das Bild kam aus dem kleinen Kasten raus.

Worum geht es also bei Polaroids? Bei einem Bild, das den Namen des Herstellers trägt. Ich denke, da geht es um was anderes. Ich glaube, bei dieser ganzen Geschichte geht es um den Moment. In der Digitalfotografie vervielfältigt sich das Motiv fast unendlich. Ich kann 100 Fotos desselben Sonnenuntergangs schießen. Die eingebaute Künstliche Intelligenz wählt das beste raus. Denn sie lernt meinen Geschmack. Und weiß, was ich mag. Und es hilft mir, mich auf das beste Bild zu konzentrieren. Auf mein Motiv. Und auf das Licht.

Habe ich aber nur eine Chance, wie eben bei Polaroids, denke ich noch mal nach. Ich überlege. Ich schaue erneut hin. Korrigiere meine Position. Gehe vielleicht näher dran. Gehe in mich. Und dann drücke ich auf den Auslöser.

Und im Grunde ist es eine meditative Tätigkeit am Ende. Denn der Prozess des Fotografierens wird zu dem, was es mal war: Zur Konzentration auf das Motiv. Und darum geht es am Ende.

Eine Frage bleibt noch offen. Oder? Ja, die ist bestimmt noch nicht beantwortet worden, auch wenn keiner jetzt fragt. Warum sind sie tot. Die Polaroids. Zumindest in dem Titel hier. Warum sind sie tot? Das ist sehr einfach zu erklären und hat nichts damit zu tun, dass sie aus einer analogen Welt stammen. Wie ich anfangs sagte, ich wollte im Grunde etwas über die Ausstellung schreiben. Ich habe etwas anderes geschrieben. Den Titel habe ich aber nicht geändert. Er blieb da. Wie ein Polaroid.

Den Link zu der Ausstellung findet Ihr hier.

Die Leere

 

Die Leere also. Das Nichts. Leere Felder zwischen den schwarzen und weissen Steinen auf einem Go Feld. Die Zeit zwischen zwei Noten. Die Leere. Viele Möglichkeiten. Oder doch nicht? Oder verhindert gerade die Leere, dass Möglichkeiten entstehen? Saugt sie in sich auf? Die Leere also.

Ein Zustand ohne Substanz. Zumindest beschreibt es Han so. Ein Zustand, den ich, wenn ich gut bin, während der Zen Übung erreichen kann (nicht zu verwechseln mit Satori, da geht es um etwas anderes). Der mir erlaubt die Welt zu sehen wie sie ist. “Leerheit” übersetzt Han den buddhistischen Begriff sûnyatâ. Ich kenne auch noch den anderen. Das japanische Wu oder das chinesische Mu. Die Leere. Der Zustand, in dem keine Gedanken stören. Aber da ist noch mehr als nur das. Es ist eine Lebenseinstellung. Es geht darum, das eigene Ich nicht in den Vordergrund zu stellen. Eine Position, die Welt an sich zu lassen, ohne die eigene Einstellung zu ihr. Es geht darum, die Welt roh, ungefiltert betrachten zu können. Ein Versuch de unmittelbaren Erfahrung der Welt. Ohne Erwartungen, ohne Hoffnungen, ohne ein Ziel und ohne eine Vorstellung. Einfach da zu sein in der Welt und die Erfahrungen an sich lassen. Es gelingt nur, wenn die Seele leer ist.

Die Leere. Im Raum gedacht bedeutet sie Möglichkeiten. Denn nur in der Leere können Gegenstände ineinander übergehen. Kann der Berg zu einem Fluss und einem Feld werden. Nur in einer leeren Landschaft besteht die Möglichkeit des fließenden Übergangs. Ohne feste Grenzen, ohne fest definierte Substanz. Die Leere Landschaft ist der Ort an dem sich die Substanz ausbreiten kann, gleichzeitig das substanzielle verlierend. Wo sie ihre Art verliert und dadurch zu dem wird was sie ist, zum Leben. Denn im Leben ändern sich ständig Zustände, Empfindungen und Erwartungen.

Die Leere also. Das Nichts. Die Abwesenheit der Substanz die alles möglich macht. Oder noch mehr? Die Möglichkeiten erinnerten mich mal in einem anderen Kontekst an Sarah Kanes Stück “Gesäubert”. Ich lehne mich jetzt seehr stark aus dem gedanklichen Fenster, doch damals dachte ich daran, dass fehlende Gliedmaßen der Protagonisten Möglichkeiten eröffnen. Möglichkeiten, jemand anders zu sein. Möglichkeiten, sich in eine andere Person zu verwandeln. Aber wozu? Nun. Um die innere Leere zu füllen. Die Leere, die entsteht, wenn die eigene Identität versagt. Oder die Leere, die entsteht, wenn wir auf der Suche sind und überzeugt, der andere sei der fehlende Teil der eigenen Identität. Dann können die fehlenden Teile mit seiner Seele, wie bei Kane mit Gliedmaßen gefüllt werden.

Nur was, wenn er geht? Wenn der andere weg ist? Wenn er einen verlässt? Die Leere kommt noch mal und breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit über das eigene Ich aus. Sie verschlingt es. Wie ein Vakuum, das im Gegensatz zum Konzept der Leere eben keine ist, denn das Vakuum bedeutet das Fehlen einer jeglichen Substanz und nicht die Freiheit von ihrer Begrenzung. In unserem Fall wäre die Freiheit, zu wählen, wer man ist zur Qual umgekehrt, sobald die Resonanz mit dem Gegenüber verschwindet.

 

Dann sitzen wir in einem leeren Raum. Wie Toni Takitani aus dem gleichnamigen Film von Jun Ichikawa. Toni füllt die Leere mit nichts. Doch ist sie, die Einsamkeit, eine Projektionsfläche, ein Ort dere Erinnerungen. Toni versucht die Leere zu füllen in dem er Erinnerungen zu beleben versucht. Es gelingt nicht, weil Erinnerungen eben das sind, was sie sind: Erinnerungen. Und jeder andere würde sich in einem einsamen Moment gerne erinnern. Er würde die Einsamkeit wie eine Leere nutzen, als die Möglichkeit, sich an schönes zu erinnern und nicht schmerzhaft darin zu verharren. Aber dann wäre die Leere wieder die positive Offenheit, die die Welt in unsere Seele lässt. Und die Erinnerung als das Betrachtet, was sie ist. Als eine gestige Tätigkeit. Und auch den Schmerz würde sie dann als etwas derartiges betrachten. Als einen Zustand.

Betrachtet das obere bitte nicht als das was es nicht sein sollte, nämlich als einen substantiellen philosophischen Traktat, sondern vielleicht als das was es geworden ist, eine Einladung. Oder doch wie eine voll geschriebene Leere, die es erlaubt hat, dass Begriffe und Theorien und verschiedene Gedanken ineinander fließen konnten ohne sich zu zerstören. Es ist auch eine Einladung. Zum Jonglieren. 

Viel Spaß

 

1, 2, Vergänglichkeit

 

Habt Ihr schon mal an das Ende gedacht? Daran, dass alles mal zu Ende geht, dass alles was anfängt auch stirbt? Dass wir mit jedem Atemzug sterben? Und dass alles, was Ihr anfängt auch zum Schluss kommt? Denn dann kommt das Ende. Oder? Nicht unbedingt.

Denn das Ende, das Vergehen ist in alles Lebendige eingeschrieben. Bereits am Anfang einer Beziehung zu einem anderen Menschen wissen wir, dass diese eines Tages aufhört. Vielleicht bereits nach Monaten. Weil sich das Paar zerstritten hat. Oder nach einigen Jahren. Oder auch dann mit dem Tod eines der Liebenden. Die Liebe hat dann ein Ende. Sie vergeht. Aber sie vergeht mit jedem Tag und mit jeder Sekunde und die frisch verliebten denken nicht mal daran. Viel mehr schauen sie hoffnungsvoll in die Zukunft. Und ängstigen sich davor, was nach dem Ende passiert. Das Ende aber ist schon dabei. Wie bei einem Neugeborenen, das eines Tages stirbt.

Ich glaube nicht. Denn die Frage ist eine andere. Wir denken sehr oft darüber nach, was nach dem Ende passiert. Anstatt die Vergänglichkeit des Lebens zu zelebrieren. Wie seinerzeit Bashō, der in den Frühjahrsblumen bereits das herbstliche verwelken sah. Denn vor dem Ende sollten wir Angst haben. Wir alle. Nicht wahr?

Besser nicht. Ich weiß wovon ich spreche. Ich habe eine Freundin verloren. Aus Angst sie zu verlieren. Es ist typisch. Du denkst an das Ende und meinst, ok, wenn ich sie jetzt fest halten werde, ganz doll fest, kann sie nicht weg laufen. Sie bleibt dann bei mir und die Liebe findet dann kein Ende. Wer will schon fest gehalten werden? Ich kenne niemand. Ich auch nicht übrigens. Und sie? Sie fühlte sich zu stark fest gehalten. Und bat um weniger. Und die Angst stieg. Bis unendliche. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie nicht umhin konnte. Und da ich sie noch mehr fest halten wollte, konnte sie nachher nicht atmen.

Zum Glück ist sie die wunderbarste Freundin, die ein Mann jemals haben kann. Sie versteht. So dass trotz des Endes vielleicht ein neuer Anfang gelingen kann. Doch auch dann wird die Beziehung vergehen.

Was können wir da machen? Damit sie nicht vergeht? Nichts. Wir können die Vergänglichkeit genießen. Das Reifen. Zunächst den Anfang. Er ist immer zart. Und ein wenig unsicher. Weil wir ja nicht wissen, wie es weiter geht. Und ob es klappt. Und auch diese Ungewissheit ist schön. Das hat mir mal die Freundin beigebracht. Doch damals glaubte ich es nicht. Eben in der Angst, dass das Ende naht. Sie ist eine gute Philosophin. Die Freundin.

Was lernen wir daraus? Aus der Vergänglichkeit? Sie ist da. Unumgänglich. Wir kommen nicht um hin, kämpften wir auch so heroisch dagegen an. Aber was, wenn wir mit ihr gehen? Wenn wir die Zeit genießen? Wenn wir jeden Tag, das hier und das jetzt leben. Ohne die Erinnerung an die Vergangenheit. Und Sorgen über die Zukunft. Wenn wir jetzt leben und das annehmen was ist. Dann verlieren wir die Angst. Und wenn das Ende kommt, genießen wir es schlicht.

Ich habe schon mal über das Ende geschrieben. Und über die Vergänglichkeit. Hier. Seitdem hat sich einiges verändert. Viel Zeit ist vergangen.

Heute mal wieder ohne weitere Links.

Das Betrachten des Mondes

Ich kann mich nicht mehr erinnern wo, doch ich habe es gehört, dass Bashō kilometer gegangen ist, nur um den Mond in seiner vollen Pracht zu sehen. Nur deswegen.

Den Mond zu betrachten. Das ist komplizierter als der eine oder andere denkt. Das liegt nicht unbedingt an dem Mond. Viel mehr an der Beleuchtung auf der Erde, die es verhindert, dass wir den Mond sehen können. Denn der Mond sollte ja nicht beleuchtet werden. Viel mehr sollte der Mond leuchten. Manchmal tut er es auch. Und das wäre der erste Punkt.

Tanizaki Jun’ichirō sagte bereits, dass es zunehmend weniger Plätze inJapan gäbe, die eine gute Mondbetrachtung erlauben. Zu seiner Zeit war das elektrische Licht das Problem. Doch es geht nicht um den Platz, um den Ort, von dem der Mond am besten sichtbar wäre. Wir müssten sonst wie Bashō meilenweit laufen. Nein. Es geht um das Bewusstsein. Darum, zu begreifen, dass die Welt ab einem gewissen Zeitpunkt nur verstellt begreifbar ist, nur beleuchtet sehbar. Nur an entegensten Orten viellicht ein kleines wenig so wie sie ist.

Bashō marschierte tagelang nur um den Mond sehen zu können. Und nicht nur wegen des Tsukimi Festes. Und das ist das zweite Geheimnis. Könnt Ihr Euch vorstellen. Meilenweit zu laufen nur um eine kleine Blume zu sehen? Nur um Moos betrachten zu können. Um eine bestimmte Art der gelben Farbe vernehmen zu können? Könnt Ihr es Euch vorstellen? Das alltägliche, das was um Euch herum Tag für Tag passiert, was unwichtig ist, das zu feiern? Denn das ist wahre Mysthik. Ohne absolute Wahrheit. Ohne weitere Theorie. Ohne ein zusätzliches Narrativ. Einfach das Gelb zu betrachten. Denn darum geht es. Bei der Betrachtung des Mondes. Um die Farbe. Und die ist gelb. Nichts weiter.

Und die dritte Geschichte? Es ist ein wenig wie das zweite. Es geht darum, zu merken ob morgens Schnee liegt und es dann mitteilen. Welche Farbe die Blätter haben. Welche das Gras. Ja. Es ist Achtsamkeit, aber eine der Natur zugewandte. Natürlich kann ich es einfacher erklären und sagen, ok, es geht darum, still zu halten und sie zu betrachten. Und es geht darum. Doch nicht nur. Es geht darum, in der Welt zu leben. Die ganze Zeit.

Tsukimi findet im Herbst statt. Und ist schon vorbei. Der Mond ist geblieben und leuchtet jede Nacht. Lassen wir ihn rein.

 

 

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