Verlangsamte Beschleunigung

 

Beschleunigung und Entschleunigung. Zwei Widersprüche. Hier: Das schnelle Leben, die Akzeleration, wobei die Einzelheiten des Augenblicks in der Geschwindigkeit nur verschwommen wahrgenommen werden können. Dort: Die Langsamkeit, die Besinnung auf sich selbst, Achtsamkeit. Ein Widerspruch? Nein.

Beschleunigung. Und es geht gar nicht darum, dass Tage schnell vergehen und wir wissen nicht, wann das Jahr zu Ende ist. Wie ist es anders? Wenn ich auf jeden Atem meines Lebens achte? Wenn ich überlege, wie warm das Wasser ist? Wenn ich ausziehe und irgendwo, fern der Schnelligkeit einen Garten anlege und den Pflanzen beim wachsen zusehe? Merke ich da die Tage?

Ja. Bestimmt. Und ich merke einen jeden Atem. Und es wird mir auch bewusst, dass die Luft morgens anders duftet als am Abend. Ich werde auch aufmerksam, was die Natur angeht und werde darüber nachdenken, wie es sich anfühlt, den Schnee in meinen Händen zu spüren. Ich werde Zeit haben, einer Wespe beim Flug zu zuschauen statt sie nur zu jagen. Vielleicht, doch nur wenn ich viel Glück habe, erkenne ich eine gewisse Struktur in ihrer Flugbahn. vielleicht auch nicht. Vielleicht wird sie einfach ganz wild in meinem Zimmer herum fliegen und ab und an sich hinsetzen. Ich werde das alles beobachten. Und zusätzlich werde ich feststellen können, wie es sich anhört. Wenn sie fliegt. Ist es anders?

Es ist intensiver. Wenn ich auf dem Motorrad schnell fahre, kann ich die Landschaft nur erfassen. Ich werde sie nicht genau betrachten können. Und es liegt nicht nur an der Tatsache, dass ich auf die Straße achten muss. Bäume und Felder um mich herum bilden dann eine Masse, etwas grünes, das an mir vorbei huscht. Gehe ich langsam durch das Feld, kann ich seine Atmosphäre spüren, ich sehe jedes einzelne Korn, ich erlebe das Feld. Ein Unterschied? Nicht unbedingt.

Ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster hinaus. Und im Grunde wollte ich gar nicht so philosophisch werden. Doch die Intensität, auch wenn sie in der Meditation vorkommt, ist nur eine Art, das Leben wahr zu nehmen. Auch die Geschwindigkeit ist eine Intensität. Wir nehmen zwar nicht die Umgebung doch die Geschwindigkeit an sich wahr. Wir können uns an ihr berauschen. Sie genießen. Und das Feld, das zu einer Masse geworden ist.

Zumal wir vom schnellen Leben umgeben sind.

Kein Ausbruch also? Doch. Wenn wir beides nutzen. Beide Intensitäten. Und mit ihnen spielen. Mit der Schnelligkeit und mit der Langsamkeit. Mit der Beschleunigung und der Entschleunigung.

Also. Entschleunigt mal kurz. Für einen Moment. Und dann gebt Gas. Es lohnt sich.

 

 

Über die Zeit. Oder über “Your Name”

 

Habt Ihr schon mal über die Zeit nachgedacht? Nein, nicht darüber, wie die Zeit vergeht. Oder über unseren Einfluß auf die Zeit. Sondern daran, dass sie in verschiedenen Richtungen laufen kann. Dass sie nicht nur mal schneller, mal langsamer läuft. Sondern darüber, dass sie eine Wendung nehmen kann. Und dann auch rückwärts fließen kann, dass wir an einen Ausgangspunkt wieder gelangen können. Dass sie manchmal anhält und dass wir dann darüber meditieren können, wie sie ist und was wir mit ihr anstellen können.

Das erzählt 君の名は。oder wie wir es übersetzen “Your Name” von Makato Shinkai. Ich habe den Anime Ende Mai während des Japanischen Filmfests in Hamburg gesehen. Seitdem ist einige Zeit vergangen. Sie ist nicht angehalten. Die Zeit ist eher gerannt seit damals. Das macht nichts. Ich kann zu dem damaligen Punkt kommen und darüber berichten (ich erinnere ich dunkel, dass gerade in dieser Art mit der Zeit umzugehen Derrida in “Ghost Dance” als Geistererscheinung beschrieben hat).

In Your Name geht es darum nicht. Nicht vordergründig zumindest. Es geht auch nicht, trotz des Titels, um die Frage nach der eigenen Existenz. Darüber habe ich schon hiergeschrieben. Doch das war ein anderer Anime. Es geht um etwas ganz anderes. Es geht um die Liebe. Doch dazu gleich weiter.

Ein Junge und ein Mädchen tauschen die Körper, doch ich möchte Euch nicht zu viel verraten. Der Anime ist viel zu interessant um die ganze Geschichte hier erzählen zu wollen. Nur so viel: Zeit ist ein Aspekt, sie fließt am Rande. Manchmal parallel, wenn beide Protagonisten in ihren vertauschten Leben eine Möglichkeit finden, miteinander zu kommunizieren. Wie ist es, wenn ich einen Tag verstreichen lassen muss um an eine mir nahe Person, ja an mich, eine Nachricht zu schreiben. Wie ist es, wenn ich auf diese Nachricht warten muss? Und es ist gar nicht die Frage nach der Geduld. Geduld hat mit der Zeit nichts zu tun. Denn die Zeit fließt unabhängig von der Geduld des Betrachters. Wenn er geduldig ist, kann er höchstens achtsam zuschauen, was passiert, während die Zeit um ihn herum vergeht.

Die Zeit bedeutet auch Gleichzeitigkeit. Wenn Ereignisse gleichzeitig statt finden. Oder wenn zwei liebenden sich ihres Gefühles bewusst werden. Und dann ineinander eintauchen. Denn auch diese Metapher kann “Your Name” sein. Und auch hier spielt die Zeit eine enorme Rolle. Eben als Gleichzeitigkeit. Denn Liebe, im Sinne von Agápe, im Sinne der tiefen Liebe, bedeutet ja, die grenzen des eigenen Ich aufzubrechen und in den anderen einzutauchen. Und Dinge gleichzeitig erleben. Und wenn der andere zum verabredeten Zeitpunkt nicht da ist, wenn eine Katastrophe ihn daran hindert, wenn er gar tot ist?

Das ist der dritte Aspekt der Zeit in “Your Name”. Die Möglichkeiten des Zeitverlaufes. Jeder von ihnen ist wahr. Und jede Realität kann jederzeit auftreten. An jeder Stelle des Lebens. Zu jedem Zeitpunkt. Und oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst. Denn wir machen Pläne, haben etwas vor und selten versuchen wir, die Zeit anzuhalten um über sie nachzudenken.

Ich möchte nicht alle drei Zeitstränge beschreiben, die “Your Name” erzählt. Ich würde das wunderbare Ende verraten. Nur eine Sache. Es geht um die Betrachtung der Zeit. Und diese kann sehr lehrreich sein. Daher setzt Euch hin, atmet langsam und betrachtet sie, die Zeit, wie sie vergeht und Wendungen nimmt. Und dann nehmt Euch die Zeit und schaut “Your Name”. Es lohnt.

Heute keine Links.

Die Leere

 

Die Leere also. Das Nichts. Leere Felder zwischen den schwarzen und weissen Steinen auf einem Go Feld. Die Zeit zwischen zwei Noten. Die Leere. Viele Möglichkeiten. Oder doch nicht? Oder verhindert gerade die Leere, dass Möglichkeiten entstehen? Saugt sie in sich auf? Die Leere also.

Ein Zustand ohne Substanz. Zumindest beschreibt es Han so. Ein Zustand, den ich, wenn ich gut bin, während der Zen Übung erreichen kann (nicht zu verwechseln mit Satori, da geht es um etwas anderes). Der mir erlaubt die Welt zu sehen wie sie ist. “Leerheit” übersetzt Han den buddhistischen Begriff sûnyatâ. Ich kenne auch noch den anderen. Das japanische Wu oder das chinesische Mu. Die Leere. Der Zustand, in dem keine Gedanken stören. Aber da ist noch mehr als nur das. Es ist eine Lebenseinstellung. Es geht darum, das eigene Ich nicht in den Vordergrund zu stellen. Eine Position, die Welt an sich zu lassen, ohne die eigene Einstellung zu ihr. Es geht darum, die Welt roh, ungefiltert betrachten zu können. Ein Versuch de unmittelbaren Erfahrung der Welt. Ohne Erwartungen, ohne Hoffnungen, ohne ein Ziel und ohne eine Vorstellung. Einfach da zu sein in der Welt und die Erfahrungen an sich lassen. Es gelingt nur, wenn die Seele leer ist.

Die Leere. Im Raum gedacht bedeutet sie Möglichkeiten. Denn nur in der Leere können Gegenstände ineinander übergehen. Kann der Berg zu einem Fluss und einem Feld werden. Nur in einer leeren Landschaft besteht die Möglichkeit des fließenden Übergangs. Ohne feste Grenzen, ohne fest definierte Substanz. Die Leere Landschaft ist der Ort an dem sich die Substanz ausbreiten kann, gleichzeitig das substanzielle verlierend. Wo sie ihre Art verliert und dadurch zu dem wird was sie ist, zum Leben. Denn im Leben ändern sich ständig Zustände, Empfindungen und Erwartungen.

Die Leere also. Das Nichts. Die Abwesenheit der Substanz die alles möglich macht. Oder noch mehr? Die Möglichkeiten erinnerten mich mal in einem anderen Kontekst an Sarah Kanes Stück “Gesäubert”. Ich lehne mich jetzt seehr stark aus dem gedanklichen Fenster, doch damals dachte ich daran, dass fehlende Gliedmaßen der Protagonisten Möglichkeiten eröffnen. Möglichkeiten, jemand anders zu sein. Möglichkeiten, sich in eine andere Person zu verwandeln. Aber wozu? Nun. Um die innere Leere zu füllen. Die Leere, die entsteht, wenn die eigene Identität versagt. Oder die Leere, die entsteht, wenn wir auf der Suche sind und überzeugt, der andere sei der fehlende Teil der eigenen Identität. Dann können die fehlenden Teile mit seiner Seele, wie bei Kane mit Gliedmaßen gefüllt werden.

Nur was, wenn er geht? Wenn der andere weg ist? Wenn er einen verlässt? Die Leere kommt noch mal und breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit über das eigene Ich aus. Sie verschlingt es. Wie ein Vakuum, das im Gegensatz zum Konzept der Leere eben keine ist, denn das Vakuum bedeutet das Fehlen einer jeglichen Substanz und nicht die Freiheit von ihrer Begrenzung. In unserem Fall wäre die Freiheit, zu wählen, wer man ist zur Qual umgekehrt, sobald die Resonanz mit dem Gegenüber verschwindet.

 

Dann sitzen wir in einem leeren Raum. Wie Toni Takitani aus dem gleichnamigen Film von Jun Ichikawa. Toni füllt die Leere mit nichts. Doch ist sie, die Einsamkeit, eine Projektionsfläche, ein Ort dere Erinnerungen. Toni versucht die Leere zu füllen in dem er Erinnerungen zu beleben versucht. Es gelingt nicht, weil Erinnerungen eben das sind, was sie sind: Erinnerungen. Und jeder andere würde sich in einem einsamen Moment gerne erinnern. Er würde die Einsamkeit wie eine Leere nutzen, als die Möglichkeit, sich an schönes zu erinnern und nicht schmerzhaft darin zu verharren. Aber dann wäre die Leere wieder die positive Offenheit, die die Welt in unsere Seele lässt. Und die Erinnerung als das Betrachtet, was sie ist. Als eine gestige Tätigkeit. Und auch den Schmerz würde sie dann als etwas derartiges betrachten. Als einen Zustand.

Betrachtet das obere bitte nicht als das was es nicht sein sollte, nämlich als einen substantiellen philosophischen Traktat, sondern vielleicht als das was es geworden ist, eine Einladung. Oder doch wie eine voll geschriebene Leere, die es erlaubt hat, dass Begriffe und Theorien und verschiedene Gedanken ineinander fließen konnten ohne sich zu zerstören. Es ist auch eine Einladung. Zum Jonglieren. 

Viel Spaß

 

1, 2, Vergänglichkeit

 

Habt Ihr schon mal an das Ende gedacht? Daran, dass alles mal zu Ende geht, dass alles was anfängt auch stirbt? Dass wir mit jedem Atemzug sterben? Und dass alles, was Ihr anfängt auch zum Schluss kommt? Denn dann kommt das Ende. Oder? Nicht unbedingt.

Denn das Ende, das Vergehen ist in alles Lebendige eingeschrieben. Bereits am Anfang einer Beziehung zu einem anderen Menschen wissen wir, dass diese eines Tages aufhört. Vielleicht bereits nach Monaten. Weil sich das Paar zerstritten hat. Oder nach einigen Jahren. Oder auch dann mit dem Tod eines der Liebenden. Die Liebe hat dann ein Ende. Sie vergeht. Aber sie vergeht mit jedem Tag und mit jeder Sekunde und die frisch verliebten denken nicht mal daran. Viel mehr schauen sie hoffnungsvoll in die Zukunft. Und ängstigen sich davor, was nach dem Ende passiert. Das Ende aber ist schon dabei. Wie bei einem Neugeborenen, das eines Tages stirbt.

Ich glaube nicht. Denn die Frage ist eine andere. Wir denken sehr oft darüber nach, was nach dem Ende passiert. Anstatt die Vergänglichkeit des Lebens zu zelebrieren. Wie seinerzeit Bashō, der in den Frühjahrsblumen bereits das herbstliche verwelken sah. Denn vor dem Ende sollten wir Angst haben. Wir alle. Nicht wahr?

Besser nicht. Ich weiß wovon ich spreche. Ich habe eine Freundin verloren. Aus Angst sie zu verlieren. Es ist typisch. Du denkst an das Ende und meinst, ok, wenn ich sie jetzt fest halten werde, ganz doll fest, kann sie nicht weg laufen. Sie bleibt dann bei mir und die Liebe findet dann kein Ende. Wer will schon fest gehalten werden? Ich kenne niemand. Ich auch nicht übrigens. Und sie? Sie fühlte sich zu stark fest gehalten. Und bat um weniger. Und die Angst stieg. Bis unendliche. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie nicht umhin konnte. Und da ich sie noch mehr fest halten wollte, konnte sie nachher nicht atmen.

Zum Glück ist sie die wunderbarste Freundin, die ein Mann jemals haben kann. Sie versteht. So dass trotz des Endes vielleicht ein neuer Anfang gelingen kann. Doch auch dann wird die Beziehung vergehen.

Was können wir da machen? Damit sie nicht vergeht? Nichts. Wir können die Vergänglichkeit genießen. Das Reifen. Zunächst den Anfang. Er ist immer zart. Und ein wenig unsicher. Weil wir ja nicht wissen, wie es weiter geht. Und ob es klappt. Und auch diese Ungewissheit ist schön. Das hat mir mal die Freundin beigebracht. Doch damals glaubte ich es nicht. Eben in der Angst, dass das Ende naht. Sie ist eine gute Philosophin. Die Freundin.

Was lernen wir daraus? Aus der Vergänglichkeit? Sie ist da. Unumgänglich. Wir kommen nicht um hin, kämpften wir auch so heroisch dagegen an. Aber was, wenn wir mit ihr gehen? Wenn wir die Zeit genießen? Wenn wir jeden Tag, das hier und das jetzt leben. Ohne die Erinnerung an die Vergangenheit. Und Sorgen über die Zukunft. Wenn wir jetzt leben und das annehmen was ist. Dann verlieren wir die Angst. Und wenn das Ende kommt, genießen wir es schlicht.

Ich habe schon mal über das Ende geschrieben. Und über die Vergänglichkeit. Hier. Seitdem hat sich einiges verändert. Viel Zeit ist vergangen.

Heute mal wieder ohne weitere Links.

Das Betrachten des Mondes

Ich kann mich nicht mehr erinnern wo, doch ich habe es gehört, dass Bashō kilometer gegangen ist, nur um den Mond in seiner vollen Pracht zu sehen. Nur deswegen.

Den Mond zu betrachten. Das ist komplizierter als der eine oder andere denkt. Das liegt nicht unbedingt an dem Mond. Viel mehr an der Beleuchtung auf der Erde, die es verhindert, dass wir den Mond sehen können. Denn der Mond sollte ja nicht beleuchtet werden. Viel mehr sollte der Mond leuchten. Manchmal tut er es auch. Und das wäre der erste Punkt.

Tanizaki Jun’ichirō sagte bereits, dass es zunehmend weniger Plätze inJapan gäbe, die eine gute Mondbetrachtung erlauben. Zu seiner Zeit war das elektrische Licht das Problem. Doch es geht nicht um den Platz, um den Ort, von dem der Mond am besten sichtbar wäre. Wir müssten sonst wie Bashō meilenweit laufen. Nein. Es geht um das Bewusstsein. Darum, zu begreifen, dass die Welt ab einem gewissen Zeitpunkt nur verstellt begreifbar ist, nur beleuchtet sehbar. Nur an entegensten Orten viellicht ein kleines wenig so wie sie ist.

Bashō marschierte tagelang nur um den Mond sehen zu können. Und nicht nur wegen des Tsukimi Festes. Und das ist das zweite Geheimnis. Könnt Ihr Euch vorstellen. Meilenweit zu laufen nur um eine kleine Blume zu sehen? Nur um Moos betrachten zu können. Um eine bestimmte Art der gelben Farbe vernehmen zu können? Könnt Ihr es Euch vorstellen? Das alltägliche, das was um Euch herum Tag für Tag passiert, was unwichtig ist, das zu feiern? Denn das ist wahre Mysthik. Ohne absolute Wahrheit. Ohne weitere Theorie. Ohne ein zusätzliches Narrativ. Einfach das Gelb zu betrachten. Denn darum geht es. Bei der Betrachtung des Mondes. Um die Farbe. Und die ist gelb. Nichts weiter.

Und die dritte Geschichte? Es ist ein wenig wie das zweite. Es geht darum, zu merken ob morgens Schnee liegt und es dann mitteilen. Welche Farbe die Blätter haben. Welche das Gras. Ja. Es ist Achtsamkeit, aber eine der Natur zugewandte. Natürlich kann ich es einfacher erklären und sagen, ok, es geht darum, still zu halten und sie zu betrachten. Und es geht darum. Doch nicht nur. Es geht darum, in der Welt zu leben. Die ganze Zeit.

Tsukimi findet im Herbst statt. Und ist schon vorbei. Der Mond ist geblieben und leuchtet jede Nacht. Lassen wir ihn rein.

 

 

Tee trinken

Ihr ahnt es bereits, oder?

Ich hatte mich mal mit einer guten Freundin gestritten und ich muss ehrlich sagen, ich weiß nicht mehr, worum es ging. Die meisten Streits sind um nichts. Du ärgerst dich am Ende über dich selbst, weil du irgendetwas gesagt hast, was vielleicht verletzend war. Willst es dann gerade biegen und es geht nicht ohne.

Der Begriff Teezeremonie ist viel zu groß und zu sperrig. Auf japanisch heißt sie chadō. Teeweg. Oder noch einfacher: cha-no-yu. Heißes Wasser für Tee. So hat es jedenfalls der Gastgeber erzählt.

Es hat womöglich wenig Sinn, eine Teezeremonie in Hamburg zu besuchen. Man könnte sie sich ebenfalls im Fernsehen anschauen und dasselbe erleben. Dachte ich. Am Anfang. Dann sind wir doch hingegangen, gingen den kleinen Gartenpfad entlang und setzten uns im Teehaus.

Nach einem Streit erinnert man sich nicht mehr an den Inhalt des Streites. Man erinnert sich auch nicht an den Auslöser. Was bleibt ist der schlechte Geschmack, das Gefühl, etwas ungutes getan zu haben.

Beim chadō ist alles aufeinander eingespielt. Die Farbe der Blumen, das Bild an der Wand, es entspricht der Jahreszeit draußen. Und auch wenn es uns nicht gelungen ist, die schlechten Geister im Garten abzustreifen so würden wir von den langsamen Bewegungen bei der Teezubereitung eingenommen.

Was hat es an sich? Mit den konzentrierten, langsamen Bewegungen? Sie beruhigen. Versucht mal langsamer zu atmen. Oder langsamer, bewusster zu gehen. Oder euch langsamer zu bewegen. Ihr werdet feststellen, wie ihr ruhiger werdet. Dann entspannter.

Ich kann mich noch daran erinnern, wie draußen Kinder laut waren, ein Hubschrauber kreiste und lauter Verkehr bis ins Innere drang. Wir waren in einer Blase. Und tranken Tee. Aber nicht gleich. Zunächst erhielten wir süßen Gebäck. Danach warteten wir alle geduldig auf den Tee. Und nichts drang hinein. Geräusche, Alltag, der Streit, alles blieb draussen.

Der Teeweg ist über nichts. Es ist einfach die Vorbereitung des Tees. Wie der Abwasch uns etwas über den Abwasch sagt. Nichts mehr. Und nichts weniger. Und der Streit? Der war dann vergessen. Nicht durch den Tee. Durch den Weg, den wir gagangen sind.

Wie schmeckte der Tee? Ideal.

Teezeremonien werden in Hamburg in Planten un Blomen veranstaltet. Ich glaube mich zu erinnern, welche im Museum für Völkerkunde gesehen zu haben. Bin mir aber nicht sicher.

Ich bin wer ich bin.

Wer bin ich?

Das ist die erste Frage. Und gleichzeitig die Antwort, ohne Zweifel, ohne auch nur darüber nachzudenken. Ich bin Ich. Ich weiß, wer ich bin, denn ich bin ich. Immer gewesen. Das jedenfalls behauptet Major Mira von sich. Sie denkt, sie wisse, wer sie ist, auch wenn sie es nicht mehr ist. Also ich. Sie ist etwas weniger, ein Haufen Gehirnzellen, die, irgendwo in den Tiefen ihres synthetischen Gehirns mit ihrem künstlichen Körper verbunden sind. Sie machen ihre Erinnerungen aus, sie sind es auch die sie als die definieren, die sie ist. Mira. Mehr braucht es doch nicht um sich als Mensch zu fühlen. Oder? Es reicht vollkommen aus zu wissen, dass ich Zitronensorbet nicht mag und Erdbeeren immer ohne Sahne esse. Das bin ich. Das ist Major Mira.

Doch was bedeutet es?

Nichts. Es hat nichts zu bedeuten. Das Problem, das ich habe ist dies: Major Mira, also der menschliche Teil von ihr in der aktuellen Verfilmung des Animes “Ghost In The Shell” ist auch mit ihren einigen wenigen menschlichen Zellen nicht sehr originell. Es ist nicht so sehr ihre Schuld. Es liegt viel mehr an der recht langweiligen Verfilmung. Das ich bedeutet nichts. es ist vollkommen austauschbar. Gegen andere Erinnerungen, gegen andere Gefühle, gegen andere Erlebnisse. Die ähnlich sind wie die Major Mira. Liebschaften, vielleicht verletzte Ehre, einfache aber öde Gefühle, die einen Menschen, eine Person eher nachahmen sollen, denn sie zu zeichnen.

Und wozu das ich?

Und wozu? Und es geht auch nicht um die verunglückte Zeichnung der Persönlichkeit unserer Major Mira, die bereits zu diesem Zeitpunkt von einem Virus befallen ist, der in ihr Gehirn, der ihr “Ich” befallen hat. Hier geht es mir um eine andere Frage. Um die Frage danach, ob wir generell so etwas wie das Ich benötigen um in der Welt zu existieren.

Zu einem wäre da Derrida, der festgestellt hat, dass das ich eher einer Tür gleichen sollte, durch die die Welt, die Erlebnisse durchgehen (ich bin mir nicht wirklich scher, wo er das gesagt hat, ich habe die dunkle Ahnung, dass er es nicht wirklich über ein Ich gesagt hat, sondern über eine Stadt, darüber, dass die Stadt eine Türschwelle ist, durch die die Geschichte durchgeht, doch es spielt keine Rolle, denn der Gedanke zählt und ich fand es eine nette Metapher, zumal Derrida es in einem Interview gesagt hat und nicht in einem seiner zahlreichen Bücher geschrieben).

Zum anderen ist da die Beschreibung der Welt. Vom Ich ausgehend müssen wir die Welt anders beschreiben, als wenn wir auf das Ich verzichten. Han sagt, die koreanische Sprache kenne kein Ich, das Meer erscheint einem, er sehe es nicht. Die Sprache konditioniert das Denken – wir formulieren Gedanken in der Sprache, auch wenn wir diese nicht immer in Worte fassen, so folgen wir stets der genutzten Sprache wenn wir denken. Würden wir die Welt anders erfahren, wenn wir ohne ich diese denken würden? Wahrscheinlich. Lasst es uns machen. Lasst uns ein Experiment starten und die Welt betrachten, ohne “Ich” zu benutzen. Schreibt bitte die Erfahrungen in den Kommentaren.

Und ohne Ich?

Major Mira hat es nicht. Doch sie denkt, sie habe eins. Doch zu diesem Zeitpunkt ist sie längst vom Virus befallen. Wie zeigt es sich? Ganz komisch. Mira sieht Bilder, erinnert sich an Szenen, die sie glaubt nie erlebt zu haben. Es wird komisch. Immer komischer. Doch sie ist Mira. Major Mira von der gefürchteten Sektion 9 des Innenministeriums. Mira kann es nicht einfach auf sich beruhen lassen. Sie geht den Weg, sie geht den Pfad und sucht nach sich selbst. Bis sie es verliert.

In dieser Geschichte bekommt Major Mira ein völlig neues Ich. Aber dazu werde ich später noch kommen. Denn das Ende ist zu spannend als wenn ich es hier nur kurz behandeln würde.

Und ohne ich?

Genau. Denn was ist es? Das Ich? Nicht viel mehr als ein Werbespruch. Ich weiss wer ich bin wird gnadenlos von der Werbeindustrie ausgeschlachtet um es als Konsumenten zu definieren. Als etwas, das sich nach Belieben formen lässt, durch das wir erst Produkte begehren, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es sie gibt. Das ich wird gehackt. Und es wird als das Objekt kultiviert. Als das Objekt, das gehackt werden kann. Deswegen sollten wir es haben, wir sollten es hegen und pflegen. Und zusehen, dass es mehr davon wird, dass es sich auf die ganze Welt ausdehnt. Das ich.

Und je mehr wir davon haben, vom ich, je grösser und weiter es ist, je mehr Welt es für sich beansprucht, unser ich, desto mehr merken wir, wie weniger wir werden, bis das ich bleibt und wir als Mensch ganz verschwinden.

 

Der Text ist Teil eins einer kleinen Serie über Ghost In The Shell, die hier demnächst erscheinen wird.

 

Gehmeditation

Gehmeditation. Meditation im Gehen. Der meditierender geht und zählt seine Schritte. Mache ich es so? Nein. Es ist viel zu langweilig.

 

Das Gehen ist eine sehr wichtige Tätigkeit. Erlaubt es einem in sich zu versenken. Dank der Bewegung erlaubt es auch sich recht rhythmisch zu betätigen. In dem einer geht kann er sehr schnell in Mediation verfallen. Das ist sehr gut.

Die am meisten verbreitete Methode ist die, dass der meditierende dabei seine Schritte zählt. Eins, zwei, drei… Oder seine Atmung. Eins, zwei… Nach einem Kilometer ist es langweilig. Alternativ kann man natürlich auch immer von Vorne anfangen mit dem Zählen. Ist es interessant? Nein. Glaubt mir, Ihr werdet es nach einiger Zeit hassen. Natürlich werdet Ihr nicht denken – worüber auch, Ihr werdet mit dem Gehen und mit dem Zählen beschäftigt sein. Und vielleicht auch mit dem Atmen. er weiss. Doch Ihr werdet nie in einem Hier und Jetzt. Bestimmt nicht im Jetzt. Auf keinen Fall. Also was tun.

Wenn ich gehe, versuche ich stets relativ schnell zu laufen. Und immer die selbe Strecke. Es hört sich bescheuert an. Ich weiss. Doch dann kann es sehr spannend sein. Zunächst, dadurch dass die Strecke immer die selbe ist, kann ich sie mir merken. Ich muss mich nach dem zweiten oder dritten Mal nicht mehr mit der Frage beschäftigen, wo ich gerade bin. Es ist nicht was anderes da: ich weiss ungefähr, wie lange ich laufen werde. Für fünf Kilometer sind es ca. 50 Minuten. Das ist ok, denn ich will keine grossen Rekorde brechen. Ich will einfach nur gehen.

Also habe ich auch keine Apps, die meine Geschwindigkeit oder sonst was messen würden. Auch brauche keine Anfeuerung. Wie gesagt, es geht darum, zu gehen. Dann, das finde ich auch wichtig, versuche ich in dem ganzen Gehen einen gewissen Rhythmus, auch auf den Tag bezogen, einzuhalten. Ich gehe meistens abends. Wenn ich gehe. Und dann das letzte, aber das wichtigste auch von dem gehen: es ädert sch. Alles ändert sich um einen herum. Doch dazu kommen wir später.

Wie mache ich es, wenn ich nicht zähle. Und wie viele Schritte wären es dann? Keine Ahnung. Auf keinen Fall die von verschiedenen Wissenschaftlern als Tagespensum beschrieben werden. Es sind weitaus wenige. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie viel 10.000 Schritte sind? Ich weiss es nicht.

Also, was tue ich? Dasselbe, wie bei der Sitzmeditation. Ich konzentriere mich auf meiner Atmung. Doch ich versuche sie nicht zu zählen, meine Atemzüge. Ich mache sie einfach. Und zwar bewusst. Ok, ich nutze das Wort, achtsam. Ich mache sie achtsam, das heisst, ich bin mir des Ein- und Astamens bewusst.

Es gibt noch einen Punkt. Den wichtigsten. Es ist dann nicht nur die Atmung. Es sind die Geräusche, der Duft und die Bilder, die ich wahrnehme. Und dadurch, dass ich nicht denke, dass ich meine Gedanken weg schicke, präge ich es mir nicht ein. Es ist dann jedes mal was neues, etwas spannendes. Und es stört mich nicht, dass ich immer im Kreis laufe. Es ist dann sogar sehr befreiend.

Und das wichtigste. Ich bin in hier und jetzt. Ich bin einfach da. Ich gehe. Ohne zu denken. Ich meditiere dabei. Versucht es selbst. Es ist sehr gut.

Robotermeditation

Können Roboter meditieren? Nein. Auf keinen Fall. Was würden sie denn machen, würden sie meditieren? Aber sie können Go spielen. Manchmal. Und einige von ihnen gewinnen sogar. Wie AlphaGo letztes und dieses Jahr wieder. Und bei Go, da geht es nicht bloß um das spielen. Es geht auch nicht darum, Steine richtig zu setzen. Es geht um die Leere. Und darum, diese zu füllen. Darum auch, es schön zu machen. Mit einem Elan, der Robotern fremd sein müsste. Und das schaffen sie nicht.

Denn Roboter können ja nur das wiederholen, was ihnen die Menschen beibringen. Oder? Folglich können sie auch nicht selbständig denken. Und was würden sie denn während der Meditation machen? Nichts. Sie wüssten gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Denn Roboter (ich meine damit auch Software und nicht ausschliesslich die Form der Hardware von der sie umgeben ist), sie sind nur so gut, wie gut sie programmiert sind. Sie können zwar einfache Befehle ausüben, selbst etwas machen, können sie nicht.

Und das wäre doch die Meditation. Es ist eine Versenkung in sich selbst. Die Beschäftigung mit dem eigenen Atem, und der Versuch, eigene Gedanken vorbei ziehen zu lassen, ohne sich ihnen hinzugeben. Meditation, das wäre nach dem Zen ja, hier und jetzt zu sein. Voll und ganz. Gepackt mit Sensoren. Das Gespürte, ja, zu spüren ohne sich allzu viele Gedanken darüber machen zu müssen. Das können Roboter ja. Sie sind. Hier und Jetzt. Einfach nur da. Ohne viele Gedanken. Sie haben Sensoren und können Daten sammeln. Können sehen, spüren, auch riechen. Sie können hören.

Und was ist Go? Eine Meditation ist es nicht. Aber darum geht es jetzt nicht. Die Frage ist, was hat AlphaGo gewinnen lassen. Und warum überhaupt Go? Go ist nicht nur einfach ein altes Spiel das Zuschauer zum Nachdenken einlädt. Es ist auch sehr komplex. Jeder Zug bietet unzählige Möglichkeiten. Deswegen war es viele schwieriger denn im Schach gegen Menschen zu spielen. Bis jetzt. Bis zu dem Zeitpunkt in dem AlphaGo anfing, durchaus menschliche Züge zu spielen. Nicht die effizientesten, aber so gesetzt, dass Lee Sedol aufstehen musste.

Können Roboter meditieren? Ja. Sie machen ja nichts anderes während sie auf deine nächste Bestellung bei AmazonGo warten. Dort spüren sie, was Du kaufen wirst. Noch bevor Du es weisst.

 

Gedanken betrachten

Kann ich meine eigenen Gedanken betrachten? Ja. Sicherlich. Bestimmt kann ich es tun nur wozu ist es gut? Zunächst, weil sie einem ganz anders vorkommen, wenn sie betrachtet werden als wenn sie gedacht werden. Es ist ein wenig so, als wenn ich mein Bein beim Gehen betrachten würde. Mein Bein geht, er geht sogar ohne, dass ich etwas dafür tun muss. Doch wenn ich ihn betrachte, werde ich mir meines Beines bewusst. Kenn Ihr das Gefühl? Ganz krass wird es mit Wunden. Wenn Ihr Euch verletzt aber die Wunde nicht seht, ist es nicht manchmal so, dass diese erst dann anfängt zu schmerzen, wenn Ihr sie seht? Seht Ihr? So ist es mit Euren Gedanken.

Wozu ist es gut, seine Gedanken zu beobachten? Eben deswegen. Um sich der Gedanken bewusst zu werden. Nicht nur der Wunden und der Beine sondern eben auch der Gedanken. Wenn Ihr nämlich versucht zu meditieren, werdet Ihr feststellen, dass Ihr unentwegt denkt. Der Kopf denkt für Euch ohne, dass Ihr selbst denken müsst. Versucht es. Nur für einen Moment. Macht die Augen zu und versucht nicht zu denken. Ihr werdet sehen, es klappt nicht. Und das ist das Problem dabei. Ihr denkt unentwegt. Immer. Wie könnt Ihr es umgehen?

Als ich mit dem Meditieren anfing, da machte ich einen Fehler. Es gibt sehr viele Fehler, die man als Anfänger machen kann, doch wenn man ungeduldig ist oder sehr jung, wie ich damals, dann macht man eben diesen Fehler: Ich versuchte nicht zu denken. In dem Versuch war ich so verbissen, dass ich nicht dazu kam, zu meditieren. Und das war mein Fehler.

Wie könnt Ihr den Fehler umgehen? Eben, in dem Ihr Eure Gedanke beobachtet. Es ist an sich sehr einfach, wenn der meditierende weiss, wie es geht. Nämlich mit dem Atmen. Wenn Ihr Euch beim Meditieren auf Euere Atmung konzentriert, auf jeden einzelnen Atem, wenn Ihr es als Euren Anker in der Meditation betrachtet, wird das mit der Beobachtung der Gedanken schon klappen.

Doch das ist nicht alles. Anders als Beine oder Wunden können Gedanken fies sein. Hinterhältig. Sie tarnen sich. Nicht als Gedanken, als Träume. Davor warnt Meister Katsuaki Sekida, wenn er Zaren Übungen beschreibt. Davor warnen auch andere. Sekida sagt, es gebe zwei Arten von Gedanken. Die einen, es sind Gedanken. Die wir so auch erkennen können. Die wir kennen, weil wir sie haben. Die andere Art der Gedanken sind Tagträume. Und die sind sehr trügerisch. Kann der meditierende doch in einen solchen verfallen.

Keine Sorge. In diesem Fall hilft Euch der Atem. Ihr schaut Euch den Gedanken an, ihr beobachtet, was für ein Gedanke es ist. Und dann, dann kehr Ihr ganz behutsam zu Eurer Atmung zurück. Es ist sehr einfach. Und dann noch mal. Und noch mal.

Und dann. Dann werdet Ihr fest stellen, dass Eure eigenen Gedanken beobachten könnt. Und dass es schön ist.

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Buch: Katsuki Sekida, Zen-Training: Praxis, Methoden, Hintergründe (HERDER spektrum)

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